Eheroman (German Edition)
vor. Manchmal, wenn er Lust hat. Er sucht die Bücher immer selber aus, weil er «Bob der Baumeister» zum Beispiel gar nicht leiden kann.
Martin sitzt vor seinem großen, quadratischen Karton und ist immer noch starr im Schlafmodus gefangen. In der Phase davor. Dann bewegt er seinen Kopf nach links, wo Merve das Papier von ihrem Karton reißt, und dann lächelt er. Der Nuckel fällt ihm aus dem Mund. Er beginnt, das Papier von seinem Karton zu entfernen. Er bekommt einen Brummkreisel mit einer Eisenbahn, die in dem Kreisel immer im Kreis fährt. Eine kleine Schranke hebt sich und senkt sich wieder, wenn die kleine Eisenbahn auf ihrem Weg im Kreis den Bahnübergang überquert, und das geschieht oft und immer schneller. Fadil hat den Kreisel gerade auf dem Fußboden ausprobiert.
Merve hält eine «Badepuppe Melanie» auf dem Arm. Eine kleine Badewanne, ein Läppchen und ein kleiner Bademantel gehören zur Ausstattung. Merve fragt, ob sie Wasser einfüllen und die Puppe ganz kurz nur einmal baden könnte.
«Nein», sagt Ava, «morgen kannst du die Puppe baden.»
«Aber sie ist noch neu», sagt Merve, und das ist ein schlaues Argument und wird von Ava genau verstanden. Merve weiß, dass neue Sachen, wie zum Beispiel Obst oder auch ein neues T-Shirt immer erst einmal gewaschen werden müssen.
«Das macht nichts bei Puppen», sagt Ava.
Fadil hockt noch immer auf dem Fußboden und drückt, so kräftig es geht, den Stiel vom Brummkreisel herunter. Danilo steht daneben, seine nackten Füße in den Teppich gedrückt, und schweigt.
Fadil kichert und freut sich und macht ein richtig großes Fass auf, so wie immer.
«Die Kinder müssen jetzt schlafen», sagt sie.
Die Kinder wollen nicht schlafen, aber Ava dreht die «Bob der Baumeister»-Kassette um und legt jedem Kind das Spielzeug ins Bett, selbst der Brummkreisel muss in einer Ecke von Martins Bett schlafen, weil die Puppe ja auch in Merves Bett schlafen darf.
Im Wohnzimmer zieht Fadil sein Jackett aus, ein Jackett trotz der Hitze, darunter trägt er ein weißes Hemd, er sieht unglaublich gut aus, Ava betrachtet ihn ungläubig. Er setzt sich hin, zieht dabei die Hosenbeine etwas hoch, legt dann die Arme hinter seinen Kopf und lehnt sich gemütlich zurück. «Was gibt es Neues?», fragt er lächelnd, als wäre die Welt ein einziges Vergnügen.
Danilo beeilt sich, drei Bier zu holen. Sie stoßen an, Danilo öffnet weit die Fenster, warme Luft, von einem winzigen, matten Hauch getragen, erreicht ihr Gesicht. Unten auf der Straße, ganz fern nur, eine Sirene. Der Abend ist schön geworden.
«Ich geh mal duschen», sagt Ava dann und steht auf. Sie schämt sich. Ihr Haar klebt an ihrem Kopf, unter ihren mehrfach gesprayten Achseln juckt es.
Als sie wiederkommt, frisch und duftend und sogar ein wenig geschminkt, sitzen Danilo und Fadil im Arbeitszimmer. Sie reden laut und rauchen. Fadil lacht mehrmals. Sie trinken viel, Ava setzt sich für eine halbe Stunde dazu, dann geht sie ins Bett. Sie kommt nicht mehr in das Gespräch hinein. Danilo zeigt seine Sachen vor, erklärt seine Projekte, diskutiert kulturpolitische Entscheidungen. Sie starrt nur immer Fadil an, der zu unglaublicher Form aufgelaufen ist, wenn sie an den Besuch in seinem schmutzigen Bürozimmer denkt, an die Schürzenbänder hinten auf seinem Rücken. Und nun so, nun wieder Fadil, der lacht, wie ein Löwe brüllt. Laut und heftig und überschwänglich.
«Ava, mein Schatz», sagt er und zieht ihren frischen Körper an sich, während er mit der linken Hand seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückt. «Schlafe gut.»
Danilo lächelt dazu. Danilo ist ein ebensolcher Prinz wie Fadil. Beide sind sie goldene Prinzen auf einem Thron aus Papier.
Im Bett kringelt sie sich ein. Das Lachen dringt durch die Wände. Wäre es jemand anderes als Fadil, der so laut durch ihre Wohnung dröhnt, sie hätte sich aufgeregt. Aber die Kinder schlafen still. Die Kinder sind durch Lachen nicht zu wecken.
Am nächsten Morgen, als sie leise aus dem Bett kriecht, Danilo bleibt liegen und bringt später die Kinder zum Kindergarten, während sie schon Spritzen verteilt und Beine verbindet, dreht Danilo sich im Bett um und murmelt: «Fadil, der geht mir langsam echt auf die Nerven.»
Sie denkt den ganzen Tag darüber nach, während ihrer Reise von einer Wohnungstür zur nächsten, von einem Treppenhausgeruch zum nächsten, von einer Sorge zur nächsten denkt sie den Satz, den Danilo gesagt hat: «Fadil, der geht mir langsam echt auf
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