Eheroman (German Edition)
geworden, und der Wind treibt heiße Luft über die staubigen Gehwege. Vögel zwitschern, wie auf einer künstlichen Bühne, zu laut und zu deutlich, und ein noch ferner Blitz erhellt für kurze Zeit den grauen Himmel, als wäre ein fernes, kaltes Licht angestellt worden.
Merve geht neben Ava her und sagt: «Ich weiß nicht mehr … Meinst du, sie wird verrückt?»
«Nein. Sie ist nur traurig. Sie ist allein, und sie muss in ein Rentnerheim. Das gefällt ihr nicht. Alles gefällt ihr nicht, und sie ist wütend.»
Ava selbst ist so traurig und so matt. Sie würde sich gerne an Konstantins Arm hängen. Ihr Kreislauf ist ziemlich schwach, und ihr ist schwindlig. Es donnert näher.
Merve sagt: «Ich fahr zum Laden. Ich muss noch die Abrechnungen machen.» Sie steigt auf ihr Fahrrad. Es ist ihr Laden. Barbara hat ihr den Laden vererbt. Aber sie muss mehr arbeiten als früher, als der Laden nicht unbedingt viel Gewinn abwerfen musste. Jetzt muss er das, damit Merve und Johnny davon leben können. Der Assi hat selten Geld und ist selten da.
Als sie weg ist, hängt sich Ava an Konstantins Arm, wie sie es vorgehabt hat. Konstantin schweigt. Sein Schweigen macht sie unruhig. Sie befürchtet, dass Konstantin mit ihr weiterschweigen wird, wie er es immer tut. Er schweigt sie meistens an, wenn sie allein sind, und das tut ihr weh. Sie denkt, sie muss sich von ihm verabschieden, richtig verabschieden, da es keinen vernünftigen Grund mehr für sie gibt, ihn zu sehen. Sie und Konstantin sind keine Freunde. Sie reden nicht einmal miteinander. Sie hängt in seinem Arm, und sie spürt den Schweiß in ihrer Armbeuge. Sie denkt daran, dass er an seinem Arm ebenfalls Schweiß haben muss, und kann den Gedanken seines feuchten Unterarmes nicht loswerden. Schweigend läuft sie neben ihm her, während das Gewitter sich gewaltig breitmacht. Über den Häusern blitzt rechts von ihnen noch ganz schief die Sonne, aber links steht groß und dunkel ein Turm dunkler Wolken. Sie muss Konstantins Arm loslassen, um in die kleine Straße zu ihrem geparkten Auto zu gehen. Sie bleibt stehen und hält seinen Arm fest.
Konstantin bleibt ebenso stehen, er runzelt die Stirn und schaut sie an, belustigt fast. «Was ist?»
«Ich muss zu meinem Auto», sagt Ava. Danilo und ihr Zuhause fallen ihr ein. Danilo wird in seinem Zimmer sitzen und am Computer arbeiten. Er wird seine Hosen ausgezogen haben, wie er es in der Hitze in den letzten Tagen immer gemacht hat, und sein fester, runder Hintern in seinen hellblauen Shorts wird auf den blauen Bürostuhl gedrückt sein, das Muster von dem geriffelten Bezugsstoff auf den oberen Ansätzen der weißen Oberschenkel rosa eingeprägt, wenn er sich aus dem Stuhl erhebt, um durch die Wohnung zu laufen. Er wird erleichtert sein, nicht froh, erleichtert, dass sie kommt und sich kümmert. Die Kinder werden sich in Unordnung wälzen, unverschämt, wie sie sind, in ihrem Alter und weil es ihnen zusteht. Sie denkt an Jacqueline, wie sie Barbara beschimpft hat, in ihrer ganzen fehlgerichteten Hilflosigkeit. Die ganze Veranstaltung hindurch war Ava wie ein Stückchen angehoben gewesen, weil sie neben Konstantin saß und sprach und war. Sie löst endlich und sehr langsam ihre Hand aus seinem Arm. Sie denkt, sie hasst Danilo dafür, dass sie ihre Hand aus Konstantins Arm nehmen muss. Sie hasst ihn.
«Was ist», sagt Konstantin, «willst du etwa mitkommen?» Mehr sagt er nicht.
Sie nickt stumm, trotz seiner vorgeschobenen Belustigung, und er nimmt ihre Hand sehr vorsichtig in seine und zieht sie sanft mit sich. Sie spürt, wie die Angst in ihren Magen kriecht, wie sich ihr Magen zusammenkrampft in dieser Angst, denn Konstantin braucht sie nicht. Sie kann sich nicht herausreden. Sie ist es, die ihn will. Sie will, dass er sich auszieht, und sie will seine schwitzenden Unterarme sehen und anfassen. Sie ist es, die endgültig böse und betrügerisch geworden ist. Aber immerhin weiß sie, dass sie das will. Immerhin krampft sich ihr Magen zusammen und rast ihr Herz in Angst und Hoffnung und Begierde. Immerhin. Und das nimmt etwas von dem Hass von ihr. Während sie an Konstantin Bodeneggs Hand zu seinem Haus läuft, einem fast siebzigjährigen Anwalt aus guter Familie, zwischen weißen Häusern mit hohen Fenstern und beschürzten Karens, sieht sie Danilo in einem milderen Licht, in einem liebevollen fast, weil er zu Haus sein und sich kümmern muss, während sie mit einem fremden alten Mann vögeln wird. Sie glüht.
Konstantin
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