Eheroman (German Edition)
steht auf den dunkelroten Teppichen seines Schlafzimmers und schaut aus dem geöffneten Fenster in die dunkle Bläue des gereinigten Abends. Feuchte, satte Luft schwelt in die Schichten alter Wärme über den Decken seines Bettes. Ava hockt unter der Decke, still und innerlich leer und nicht mehr aufgewühlt. Sie beobachtet Konstantin, der nackt ist, schamlos ist. Sein Körper ist eine gräulich weiße Silhouette gegen das blaue Licht des Abends, sehnig und an manchen Stellen zu knochig, die Haut zu fest um die Rippen gespannt, an den weicheren Stellen zu matt, in allen Details alt.
Ava hatte es gewusst, sie hatte Konstantin oft angesehen, seine Haut, den Hals, wie er sich fältelte, wenn er den Kopf drehte, seine Figur unter den Hemden und Hosen, wenn er sich aufstellte und gestikulierte und redete oder schimpfte während ihrer Proben. Sie hatte sein, wenn auch kaum wahrnehmbares, andere auf Distanz haltendes Lächeln in den Augen bemerkt. Sie hatte die steifer werdenden Bewegungen seines alterndes Körper bemerkt. Sie hatte Zeit gehabt, sich alles sehr genau auszumalen, im Schlechten wie im Guten. Schließlich hat sie Konstantin nackt gesehen, still, stumm und nackt. Sie hat ihn angefasst und die Augen geschlossen, und alles ist ganz anders gewesen als das, was sie vorher zu einem Körper und Sein von Konstantin Bodenegg geformt hatte. Seine fast jungfräuliche Zurückhaltung, die im Gegensatz zu seiner zuvor kompromisslosen Entschlossenheit stand, hat Ava zornig gemacht.
Sie war doch jung, und sie war der Preis.
Aber er saß da und wartete, und sie fühlte sich einsam in dem dunklen, alten Zimmer, einsam in ihrer Verdorbenheit und Schuldhaftigkeit. Sie zog ihm das Hemd aus und griff nach ihm, als wollte sie ihn bestrafen. Sie hatte doch nicht umsonst diesen Schritt getan? Sie griff in ihrem Zorn – sie war doch der Preis – nach seiner harten Brust, sie streifte sein Alter von sich, sie rief ihm übermütig zu: «Nicht dass du denkst, ich liebe dich.»
«Nein», hat er gesagt, «das denke ich nicht.»
Sie mühte sich, sie verfiel fast in Raserei in ihrer Mühe, er war wie ein Stein, ein alter, herzloser, über einem kalten Grab ruhender Stein. Dann hat sie in sein Gesicht gesehen, wie ein Lüstling, der spät in das Gesicht der jungfräulichen Geliebten schaut und sieht, wie sie es alles hinnimmt und sich nicht wehrt, weil sie liebt. Und dann ist sie zusammengebrochen, in eine Weichheit hinein, die es alles möglich machte. Seine und ihre Liebe. Für fünfzehn Minuten wie für immer. Konstantin war ein zärtlicher und großzügiger Liebhaber, für seine Erfahrungen und für die Umgebung, die Teppiche und die alten Möbel und das, was ihm offenstand, war er alles, was er sein konnte. Anschließend überfiel sie sehr schnell und heftig die Müdigkeit und Ruhe, in der sie sich nun befindet.
Das Gewitter ist weggezogen. Der Regen tropft träge vom Fensterrahmen. Konstantin öffnet, seinen kleinen, alten Arsch rausgestreckt, eine Hand tuntig an die Hüfte gestützt und gähnend mit einem Daumendruck eine silberne Schachtel und nimmt eine Zigarette heraus.
«Du rauchst?», fragt Ava und grinst willenlos über seine Haltung und ihre eigene Haltung und die feuchte Luft über sich.
Konstantin nickt. Er zündet sich eine Zigarette an und hält ihr die Schachtel hin.
«Ich rauche nicht», sagt Ava.
Er schüttelt wie zur Bestätigung den Kopf. Sein feines, gewelltes Haar vor dem ins Schwärzliche neigenden Blau des Himmels. Der dunkle Zigarettenrauch, der von den Bewegungen der Luft ins Zimmer getragen wird. Die Gesäßknochen, über denen sich das alte Fleisch mühsam hält, die tapferen Beine, lang, mager, von zittrigen Haaren bedeckt. Als er sich umwendet dann das Gebaumel seiner Eier, längliche ovale Säcke, sein schmaler, geäderter Penis, darüber die Falte seines Bauches, eines dünnen, nur leicht angedeuteten und dennoch eine kleine Falte werfenden Bauches, feingeschliffen. Wie armselig die Schlankheit eines alten Menschen ist, denkt Ava. Und dennoch. Konstantin Bodenegg in seiner sich selbst bewussten schlaffen Nacktheit, in seiner fast schon arrogant zu nennenden Pose am Fenster, als würde es ihm nichts ausmachen, wenn ihn jemand sähe – und vielleicht macht es ihm nichts aus –, er ist attraktiv. Er ist vielleicht, auf eine sehr spezielle Art, sogar schön.
Ava dreht sich wohlig unter ihrer Decke in der Stille des leise atmenden Zimmers. Sie weiß, sie muss gleich gehen. Ihre Ruhe ist längst
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