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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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zu ihren Kindern und ihrem Leben geeilt. Danilo wird sie erwarten. Eine Feier bei einer Fünfundachtzigjährigen dauert für gewöhnlich nicht bis in die Nacht. Das Handy in ihrer Tasche ist kein Feind. Der Akku ist alle. Vielleicht hatte sie es absichtlich nicht aufgeladen. Vielleicht hat sie von der Absicht nicht einmal gewusst?
    Konstantin drückt seine Zigarette aus und lächelt sie an. «Du musst jetzt gehen», sagt er.
    «Ich muss», sagt Ava und rollt sich aus den Decken und glaubt an einen Scherz.
    «Es war nett», sagt er kalt.
    Ava zieht ihre Sachen an, Stück für Stück. Es kommt ihr alles lange und umständlich vor. Sie sieht dabei Konstantin starr im Zimmer stehen. Sie glaubt ihm nicht. Aber die Empörung steigt wieder in ihr auf. Sie ist doch jung, gegen ihn, und sie ist der Preis.
    Sie steht auf und verlässt das Zimmer ohne ein Wort und ohne eine Berührung. Wie sich alles so verwandeln kann. Was ist wahr? Wie fühlt sich Liebe an?

    Sie verlässt Konstantin Bodenegg nur für kurze Zeit. Sie tritt auf die dampfende Straße hinaus und kehrt sofort um. Wie sie schon einmal umkehrte, damals. Sie läutet an seiner Tür. Sie sagt: «Ich bins. Ich habe was vergessen.» Sie fliegt zu ihm hin, voller Hast und sich ihrer Sache nicht vollkommen sicher. Aber sie bekommt recht. Sie trifft ihn in seiner Schwäche nach ihrem Weggang. Er reißt sie in seine Arme, heftig und warm, wiegt sie traurig, wie ein totes Kind, und dort, in seinen Armen, in seiner Sicherheit, verlässt sie das schmerzhafte Gefühl der Liebe. Sie lächelt und befreit sich von ihm. «Konstantin», sagt sie, «du Lügner.» Er steht da, klein und alt und geschlagen. Sie geht.
    Sie ist jung, und sie ist der Preis.

    Die Tage sind regnerisch gewesen, die Wärme auf dem Beton war plötzlich verschwunden, der Staub hatte sich in den Abflüssen versenkt. Eine verfrühte herbstliche Nässe und Ruhe hatte sich auf die gleichmäßig sanft ausgeleuchteten Tage gelegt, und es war wie eine Pause, ein kurzer Schlaf in der heißen Mitte des Sommers. Dann kehrte die Sonne zurück, weißglühend an einem fast farblosen Himmel, und mit ihr kehrte der Sommer zurück in seiner dumpfen, schon am frühen Morgen erbarmungslosen Klarheit.
    Ava ist auf dem Heimweg von den Eltern, wohin sie die Kinder gebracht hatte, für eine Woche Ferien, mit denen sie sonst nichts anzufangen gewusst hätten. «Wie lange dürfen wir fernsehen? Bis zwölf? Josefine darf immer bis zwölf fernsehen, wenn Ferien sind.» – «Nimm doch noch Kuchen. Sonst nimm ein paar Stücke mit für Danilo.» – «Ich muss immer arbeiten, jeden Tag, Mummi, muss ich arbeiten, das weißt du doch.» – «Misch dich nicht in alles ein. Glaubst du, ich komme nicht klar, mit meinen eigenen Enkeln? Euch haben wir auch erzogen, ohne moderne Pädagogik, das war nicht das Schlechteste.» – «Wie das brennt, da in Griechenland, Ava, hast du das gesehen? Und kriegen das nicht gelöscht. Das brennt immer noch weiter, eine Schande ist das.» – «Ava, ich fühle mich wohl so. Ich bin vollkommen zufrieden. Ich brauche nur meinen Tee und meine Zeitung, und ich bin ein glücklicher Mensch, nicht jeder Mensch ist so leicht glücklich zu machen, was meinst du …?» – «Merve nimmt iiiiiimmmmer die Fernbedienung und gibt sie nicht mehr her. Die ganze Zeit. Sie hält sie in ihrer Hand fest und gibt sie nicht mehr her, stundenlang, siehst du?» – «Hör auf, lass meine Hand los, sonst kriegst du Ärger, sag ich dir! Willst du Ärger, du kleiner Penner?» – «Ich sagte, es wird nicht am Tage ferngesehen.» «Ach lass sie doch. Es ist hier nicht wie zu Hause. Hier gelten nicht deine Regeln, hier gelten unsere Regeln.» – «Ruft ihr an? Ihr könnt gerne abends anrufen, wenn irgendwas ist.» (Aber was soll schon sein?)
    Wie ein in strahlender Helligkeit sich einbrennendes Bild der Wirklichkeit sich auf der Netzhaut hinter den geschlossenen Lidern nur langsam verflüchtigt, so verflüchtigen sich nur langsam die Sätze des Abends in der Stille des Fahrens. «Ich möchte nicht mit dir tauschen», hatte der Vater zum Abschied gesagt, «immer unterwegs zu kranken Leuten, immer im Unglück zu Hause, nein, ich möchte nicht mit dir tauschen.»
    Ava fährt Danilo entgegen wie einer unbekannten Größe. Danilo lag auf dem Bett, als sie fuhr, auf dem Bauch ausgestreckt, den Kopf zur Seite gelegt, ohne Hosen. Die Hosen lagen auf dem Boden in sich zusammengesunken, als wären sie ihm vom Leib gerutscht und in sich

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