Eheroman (German Edition)
jetzt zu einer Endgültigkeit verhärtete, die keine anderen Aussichten mehr bereithielt. Vielleicht war er aus dieser Enttäuschung heraus in sich selbst zurückgekrochen wie seine blasse Haut zwischen die Knochen, in sein dunkles Zimmer, in seine Bücher, die ihm das boten, was die Mutter ihm nicht bieten konnte. Vielleicht war die freundliche Dienstfertigkeit der Mummi nur eine Maske für die Verbitterung darüber, einen immer ängstlicher werdenden Schlappschwanz als Mann zu haben. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Die Mummi tritt mit dem Tee herein, sie balanciert vorsichtig ein Kännchen und eine Tasse auf einem kleinen japanischen Tablett und stellt beides vorsichtig auf dem mit Rissen durchzogenen Wohnzimmertisch mit den höhenverstellbaren, goldlackierten Eisenbeinen ab.
«Danke, mein Liebling», sagt der Vater. «Siehst du, Ava, wie hübsch sie ihre Füße hat machen lassen. Ich bin immer noch sehr empfänglich für solche Sachen. Wenn Frauen sich hübsch machen, dann fühlt der Ehemann sich geschmeichelt.»
Die Mummi strahlt über das ganze Gesicht, und Ava schüttelt den Kopf über ihre lieben, dummen, alten Eltern.
«Ich bin jetzt fünfundachtzig, da – gibt es nichts zu feiern», sagt Jacqueline. Ihr weißes Haar zittert im Windhauch zwischen der geöffneten Tür und einem geöffnetem Fenster, irgendwo, tief in den Gängen des dunkel getäfelten Hauses, wie ein großes Stück loser Watte. Im Laufe der Jahre ist ihr Haar immer mehr zu einem fein in sich verhakelten, mehr geknickten als gekräuselten Gespinst geworden. Sie trägt ein eierschalfarbenes, leicht glänzendes Kleid und eine dicke Perlenkette an ihrem vogelartig gefleckten, braun gebrannten Hals, was darauf schließen lässt, dass sie auf Besuch vorbereitet war, auch wenn sie es nicht zugibt. Vielleicht hat sie es gehofft, vielleicht hat sie auch nur Vorsorge getroffen. Seit Barbara tot ist, lässt sie sich ein wenig gehen. Manchmal zieht sie ihr Nachthemd nicht mehr aus, manchmal läuft sie den ganzen Tag in ihrem rosa Nachthemd herum, in großen, wolligen Hausschuhen, und trinkt Milch aus einer Steintasse und isst gar nichts mehr. Merve hat ab und zu nach ihr gesehen, nachdem Barbara gestorben war, und gelegentlich auch Ava. Im September wird sie einen «Seniorensitz» an der Elbe beziehen, dann wird sie ärztlich besser betreut und braucht sich weniger um sich selbst zu kümmern als hier, in dem riesigen Haus, wo zwar sauber gemacht wird, wo sie aber vollkommen allein ist.
«Alles Gute, liebe Jacqueline», sagt Konstantin und drückt Jacqueline mit dem rechten Arm vorsichtig an sich. Im linken trägt er einen großen Strauß Flieder, den er selbst in seinem Garten geschnitten hat, wie er Ava und Merve auf dem Weg erzählt hat. Es ist seine Idee gewesen, Jacqueline an ihrem Geburtstag zu besuchen, an ihrem letzten Geburtstag im eigenen Haus, bevor es verkauft wird. In den letzten Jahren hatte es Barbara stets so eingerichtet, dass sie alle zu Jacquelines Geburtstag erschienen. Dazu zwei dickliche alte Frauen, Bekannte von Jacqueline aus dem Evangelischen Kirchenkreis. Sie sind nur anfangs dabei gewesen, eine ist inzwischen verstorben, die andere liegt seit einiger Zeit im Bett und will nicht mehr aufstehen. Angehörige von Jacqueline gab es offenbar keine. Barbara hatte jedes Jahr eine Friesentorte gekauft, von der sie gemeint hatte, es sei Jacquelines Lieblingstorte, und sie hatte Eierlikör aufgemacht und schwarzen Espresso gekocht. Sie hatte feines Kaffeeservice mit einer zarten, von einer tiefen Abendsonne beleuchteten Wiesenlandschaft im Inneren der zarten Tässchen aufgedeckt und eine Flasche Champagner entkorkt. Geschenke gab es nie, da Barbara befahl: «Keine Geschenke. Sie mag nichts, es gibt nur Ärger mit Geschenken.»
Jetzt hält Ava einen großen Karton mit einer teuren Friesentorte in beiden Armen, weil sie davon ausgeht, dass Jacqueline Wert auf die Tradition legt, aber nicht selbst eine Torte besorgt haben wird. Ava hat es sich den ganzen Tag überlegt mit der Friesentorte, sie hatte Konditoreien gegoogelt und herausgefunden, welcher Konditor eine gute Friesentorte backen konnte, und es hatte nichts gegen dieses Geschenk gesprochen, bis auf Barbaras Verbot. Barbaras Verbot wirkt noch über ihren Tod hinaus und jetzt sogar stärker als vorher. Jetzt ist es fast schon Verrat, Jacqueline etwas zu schenken, und Ava ärgert sich über Barbara, wie man sich nur über Tote ärgern kann, die ihre eigenen Ansagen nicht
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