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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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mehr korrigieren oder zurücknehmen können und sie dadurch auf eine alle anderen übervorteilende Art endgültig machen.
    Im dunklen, nach bitterem Möbelöl riechenden Esszimmer liegt ein Haufen ungebügelter Wäsche auf einem Stuhl, und Jacqueline, deren kleiner, harter Kopf rosig leuchtet unter ihrem weiß flaumigen Haar und die in einem fort redet, schlägt mit ihrer runzeligen Hand empört auf den Haufen. Die ihr Folgenden, Merve mit einer Flasche Champagner in der Hand, Ava mit der Tortenschachtel und Konstantin mit dem Flieder, halten hinter ihr an wie das Gefolge hinter seiner Königin.
    «Karen», ruft Jacqueline mit einer zu hohen und sehr dünnen Stimme, als würden, sobald sie ihre Stimme erhebt, die Stimmbänder zum Zerreißen gespannt werden und nur dieses hohe Piepsen hervorbringen.
    Karen lässt sich nicht blicken, und Jacqueline hebt die geöffnete Handfläche zu ihnen allen, wie sie dort stehen, neben dem Tisch, in dem getäfelten Esszimmer, dem Zimmer, das nur durch eine Schiebetür von dem Zimmer getrennt ist, in dem sie früher, bevor Barbara den langgezogenen, hohen Raum anmietete, gemeinsam «Das Schwein, das Schaf und die Lampe» probten. Jacqueline eilt, die Hand immer noch erhoben, damit sie warten, durch eine kleine Tür in einen Flur und taucht dann wieder auf, hinter sich Karen an einer unsichtbaren Schnur mit sich führend. Karen, eine Frau um die fünfzig, einen hellen Kittel umgebunden, lächelt spöttisch, als sie sie alle am dunklen Eichentisch stehen sieht, als wäre sie ihnen, wie sie dort unter Jacquelines Befehlen warten, mit ihren Blumen und ihrem Kuchen, auf eine sehr handfeste Art überlegen.
    «Die Wäsche muss weg, bitte, Karen», sagt Jacqueline und deutet auf den Stuhl. Karen packt den Haufen mit beiden Armen und schreitet sehr gerade in weichen, gelöcherten Gummischuhen, wie sie jetzt modern sind, durch die kleine Tür.
    Jacqueline klatscht geräuschlos mit ihren gekrümmten Händen und sagt: «Ja, was habt ihr euch gedacht?»
    Ava stellt den Karton auf den Tisch. Sie tritt auf Jacqueline zu und umarmt sie. Es ist Juli, und es ist fast unerträglich heiß. Die Hitze hatte sich schon so durch die Tage und Nächte gefressen, dass keiner mehr an Kälte glauben konnte. Hier drinnen ist es nicht kalt, aber die Dunkelheit und das Holz machen die Wärme bitterer und angenehmer.
    «Wir haben uns nicht viel gedacht. Wir wollten nur vorbeikommen und kurz gratulieren», sagt Merve und kaut auf ihrem Daumen.
    «Und da – bringt ihr – Geschenke mit, ja?», sagt Jacqueline.
    «Keine Geschenke, nur Kuchen und was zum Anstoßen, weil du ja wahrscheinlich nichts hier hast, Jacqueline.»
    «Ja», sagt Jacqueline, und es klingt wie ein trockenes Husten. «Ich bin wohl be-mitleidigt, was?»
    Ava würde ihr aus einem Grund, aus einem kleinen Ärger heraus, gerne sagen, dass es «bemitleidenswert» heißt, aber sie setzt sich nur auf einen der dunklen Stühle. Es scheint ihr auch, dass Jacqueline recht hat.
    «Stell dich mal nicht so an, liebe Jacqueline», sagt Konstantin und nimmt eine Vase von der Anrichte. «Was willst du erwarten, in unserem Alter?»
    «Ha», quietscht Jacqueline, «mein Alter ist nischt – dein Alter, mein lieber Konstantin.»
    In diesem Moment entkorkt Merve die Flasche, und der Knall erschüttert die Wände und den Staub und die Wärme, und Ava atmet auf, während Jacqueline nach Gläsern läuft.
    Später sitzen sie im Garten auf den Stühlen aus dem Esszimmer. Jacqueline hat eine zweite Flasche entkorkt. Sie essen die matschige Friesentorte mit Löffeln, trinken und schwitzen und reden leise. Zwischen den Bäumen rauscht es. Die oberen Blätter der roten Buche erzeugen ein gleichmäßiges, lauter werdendes Summen, wie ein Sog, eine Ankündigung von noch sehr ferner, kühler Nacht.
    Jacqueline sitzt neben dem weißen Plastiktisch, der bedeckt ist von angeklebten Blättern, überzogen von schleimigen Schneckenspuren und winzigen, leicht gekrümmten Vogelkotwürstchen. Sie hat ihr Kleid ein wenig hochgezogen, ihre Beinchen im lila Licht wie Kleinmädchenbeine, und kichert leise. In der Luft liegt ein Flirren, Millionen kleiner Tiere fallen durch die Luft, ein fernes Grummeln über der unsichtbaren, ausgesperrten Stadt. Barbara, die Tote, irrt um sie herum, ihre Worte, ihre herbe Fürsorglichkeit, ihre weiten Kleider streifen über den Boden des ehemaligen Proberaumes, ihre Stimme tadelt stumm die Armseligkeit der Feier, den kalten Kaffee, die leeren

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