Eheroman (German Edition)
gefaltet auf ihren Beinen hocken geblieben. Er hatte nicht mitgewollt, und es hatte ja auch keinen Grund gegeben. Sie hatte nur die Kinder wegbringen wollen, wie es verabredet gewesen war. Aber sie hatte ihn beneidet, weil er auf dem Bett liegen konnte, weil er in seiner Unterhose ausgestreckt auf dem Bett liegen konnte und dösen, während sie sich der Anstrengung des Verkehrs, der Kinder und der eigenen Eltern ausliefern musste, am Ende des Tages.
Sie stellt das Auto vor einem türkischen Laden mit einem Angebot an Zeitschriften und Getränken, an abgepackten Lebensmitteln, Obst und Gemüse vor dem Schaufenster, ab. Die Kisten stehen bereits leer vor dem mit farbiger Schrift beklebten Schaufenster. Im Laden wird geräumt und diskutiert, die Tür steht leicht angelehnt, eine hohe Frauenstimme ist auf Türkisch am Schimpfen. Ein alter Mann tritt auf die Schwelle, in einer knittrigen weißen Hose, an einer Pfeife ziehend, ihr freundlich zunickend – sie hat ihm ab und zu ein paar Tomaten oder einen Liter Milch abgekauft – und in den schattigen Abend starrend. Das Schimpfen drinnen wird zu einem glucksenden Lachen. Dann fällt eine Männerstimme ein. Ava schließt den Kofferraum auf und entnimmt den Karton, gefüllt mit gelben Kirschen von dem krüppeligen, schief gewachsenen Baum hinter dem Haus, an dessen schiefen Ästen lange eine verfaulende Schaukel hing, auf der Ava früher ungern saß, weil sie fürchtete, den Baum in seiner Schiefheit vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen, weiterhin gefüllt mit grünem Salat, mit erdigen, rotbraunen Kartoffeln und duftenden Tomaten. Alles in Tüten verpackt und in einen großen, braunen Karton gesteckt. Um den Karton ist eine Paketschnur mehrfach herumgebunden, sodass sie das reichlich schwere Paket gut tragen kann. «Alles gut?», fragt der Mann mit seiner Pfeife, sie beobachtend und in seinen Feierabend hineinpaffend.
Sie kennt ihn kaum, sie hätte gar nicht erwartet, dass er sie kennt. Aber wie sie ihn dort stehen sieht, kann sie sich vorstellen, dass er über eine übersinnliche Wahrnehmung verfügt, dass er weiß, wie es ihr geht und welch stete süße Traurigkeit sie begleitet, von der sie nicht weiß, ob sie ein gewöhnlicher Begleiter des Erwachsenseins ist oder ein Fehler ihres eigenen speziellen Lebens.
Danilo kratzt letzte Reste angebrannter Bratkartoffeln aus der zerschabten, alten Pfanne. Ein Berg von Bratkartoffeln liegt auf seinem Teller. «Hast du Hunger?», fragt er, und ehe sie antwortet, fügt er hinzu: «Ich dachte, du hast bei deinen Eltern gegessen.»
«Habe ich.»
Ava setzt sich mit einem Glas Wasser ihm gegenüber an den Küchentisch, aus Höflichkeit und aus Gewohnheit. Sie will über ihre Eltern reden. Es kommt ihr vor, als bewegten sich momentan alle Dinge immer schneller in eine Richtung, einem Gefälle gleich, wo ihr nichts bleibt, als ihnen aufrecht und freundlich lächelnd, durch die Beschleunigung hindurch, ins Auge zu schauen. Den Kindern ist es egal, denkt sie zornig, die Kinder kennen nur das, was ist, die Kinder sehen die Dinge nur an, wie sie den jeweiligen Tag ansehen. Die Großeltern sind nicht ihre Eltern, und ihre eigenen Eltern sind noch sehr im Gesunden verhaftet, und deren Traurigkeit interessiert sie nicht, weil sie in ihrer störrischen Art ihr Recht auf egoistischen Frohsinn verteidigen. Ava seufzt.
«Ist alles in Ordnung?», fragt Danilo, wie der alte Mann mit der Pfeife fragte, der Gewohnheit halber und keine wirkliche Antwort erwartend. Denn die wirkliche Antwort stand schon so oft im Raum und wird mittlerweile ängstlich vermieden. Der Tag war so schön. Die Wärme wellt noch durch die Räume. Das Fenster steht offen. Verkehrsgeräusche.
«Was soll man zu meinen Eltern sagen?», fragt Ava. Das Thema ist meistens ungefährlich.
Danilo zuckt mit den Schultern und häuft schwarze Kartoffelstücke auf seine Gabel. «Das weiß ich nicht. Es sind deine Eltern.»
«Ich hätte nie gedacht, dass sie auch mal so komisch werden.»
Danilo sieht sie über seiner Gabel hinweg an, er lächelt. «Das waren sie doch schon immer.»
«Das stimmt doch gar nicht!»
«Ava, sei mal ehrlich. Dein Vater …»
«Na ja, mein Vater … Aber trotzdem ist er doch normal gewesen, im Vergleich zu jetzt. Und wie sie reden. Immer in denselben Sätzen, als wenn sie immer nur dieselben Sätze hätten, in ihrem Dorf.»
Danilo kratzt den Rest seiner Kartoffeln sorgfältig zusammen. Er kaut ebenso sorgfältig. Immer kaut er sorgfältig,
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