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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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den siebzigjährigen Körper von Konstantin Bodenegg sprechen.
    «Das ist eigentlich nicht der Punkt», sagt Hartwig, der auf seinem Brötchen zwei Scheiben Bierschinken liegen hat, darüber eine Scheibe Käse und zwei Gurkenscheiben. Hartwig bastelt jeden Morgen an seinen Brötchen, bis sie aussehen wie die, die es in den Stehcafés und Bäckereiketten am Bahnhof zu kaufen gibt. Er sagt dann stolz: «Das sieht doch aus wie gekauft?», als würde das Gekauftsein eine Qualität darstellen. Es ist Beates Idee gewesen, hier, in ihrem Büro, gemeinsam zu frühstücken. Es klappt nicht immer, aber vor allem Beate ist, auch mangels Familie, morgens meistens eher da, sie stellt Kaffee an und backt die Brötchen in dem kleinen Brötchengrill auf, den Frau Mille von sich zu Hause mitgebracht hat, weil sie selbst keine Brötchen mehr isst. Nur dunkles Brot wegen ihrer Gesundheit, die immer mehr Raum in ihrem Denken einnimmt. Alle sorgen sich bereits um sie, ohne dass es einen ernsthaften Grund dafür gäbe, abgesehen von dem, dass sie sich selbst sorgt.
    «Und was ist der Punkt?», fragt Ava. Obwohl sie ganz genau weiß, was der Punkt ist, aber sie will Hartwig in die Verlegenheit bringen, genauer zu werden.
    Hartwig starrt auf den Boden, als müsste er noch darüber nachdenken, dann sieht er Ava an und sagt: «Warum machst du das? Was bringt dir das denn?»
    «Was fragst du so was Dummes?», sagt Beate und springt ihr zumindest in dieser Hinsicht bei. «Das könntest du mich dann ja auch fragen. Oder willst du hier moralisch werden? Du weißt doch, wie das ist. Du hast doch auch schon mal fremdgepoppt, oder was?»
    Hartwig lässt sich nicht beirren. Er isst sorgfältig sein Brötchen auf. Er kaut sorgfältig, wie Danilo, denkt Ava, er kaut wie Danilo, aber das stört sie gar nicht. «Warum machst du denn so was, Ava?», wiederholt er seine Frage, und jetzt schweigt Beate, weil sie ihren Teil bereits gesagt hat.
    Ava betrachtet die kleinen Fältchen um Hartwigs müde, kleine Augen. Sie hat keine Scheu, nie gehabt, ihn direkt anzublicken, so wie man keine Scheu hat, seine Eltern anzublicken oder seine Geschwister, weil einem keine Fremdheit droht, weil keine Grenze überschritten werden kann, weil es zwischen Hartwig und ihr nur Alltag und Müdigkeit gibt und weil die Art von Fremdheit, die zwischen ihnen tatsächlich besteht, unüberwindlich ist und von daher milde und versöhnlich. «Aus Liebe», sagt sie schließlich, weil das die einzig richtige Antwort ist und die Antwort, die ihm seine Fragen abschneidet.
    Tatsächlich schweigt jetzt auch Hartwig. Die Tür öffnet sich, Straßenverkehrsgeräusche ziehen in den Raum, der jetzt, am frühen Morgen, im Schatten liegt, während draußen sich die gewaltige Augustsonne golden auf den Spitzen der hohen Dächer und Baumspitzen niederlässt. Wenn es nach Ava ginge, könnte es immer Ende August bleiben, es könnte immer Morgen sein und der dünne Stadtverkehr könnte sich lustlos und träge über die staubig knirschenden Straßen fädeln. Der Sommer endet wie ein langgezogener Tropfen an einem Hahn, sich endlos dehnend und alles in ein Gähnen tauchend, taumelnd von der langen Wärme, sich behaglich ein letztes Mal streckend, bevor es dunkler wird und kälter und der herbstlich geschäftige Alltag klare Entscheidungen fordert, die Vorsorge einsetzt und die Verantwortung für die Zeit.
    «Wenn du jetzt wieder hingehst …», beendet Beate nicht ihren Satz, denn Frau Mille ist zu ihnen hingetreten. Sie reckt sich, ihr weicher Bauch unter einer lila geblümten Bluse aus dünnem, fliegendem Synthetikmaterial stößt an den Tisch, wie etwas, das in seiner Weichheit und in seinem Fließen nicht aufzuhalten gewesen ist.
    «Morgen», sagt sie und nimmt einen ebenso dünnen und fließenden lila Schal von ihrem dicken, kleinen Hals. «Der Tag wird schön», sagt sie weiter und betrachtet sie alle, als wüsste sie ganz genau, wie sie alle einzuschätzen wären, und als hätte sie sich damit abgefunden, liebevoll und ein wenig spöttisch.
    «Ich gehe nicht wieder hin», beantwortet Ava Beates Frage, obwohl ihr schon klar ist, dass Frau Mille am Tisch steht und lange Ohren macht. Rena Mille, die Einmetervierzigfrau, die stundenweise die Buchhaltung übernimmt, gehört zwar dazu, sie ist aber nicht in die intimen Details von Hartwigs, Beates und Avas Leben eingeweiht. Sie kommt auch gewöhnlich nicht zum Frühstücken, ebenso wenig die anderen Angestellten, zwei Frauen und ein Mann, die ihre

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