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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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Arbeit pünktlich beginnen und nicht den Drang verspüren, sich schon eher als nötig im Büro einzufinden.
    Beate scheut sich, Frau Milles wegen, auf diese Feststellung zu antworten, obwohl, wie Ava sehen kann, sich ihre Wangen wölben und die Luft schließlich enttäuscht aus ihrer Nase zischt, wie eine sich materialisierende Botschaft von unausgesprochenen Worten.
    «Warum lassen Sie sich nicht endlich scheiden?», sagt Frau Mille und starrt Ava aus ihren wässrigen, etwas vorstehenden Augen an. Rena Mille ist eine Person, die aufgrund ihrer Größe von den meisten Menschen unterschätzt wird. Sie hat eine fast mädchenhafte, nicht zu ihrem Alter passende Stimme, die oft, wenn sie fröhlich ist zum Beispiel, zu vibrieren beginnt und einen etwas dümmlichen Eindruck erweckt. Der Eindruck wird verstärkt durch ihren runden, plumpen Körper, den sie unter weiten Blusen versteckt, die alle im Schnitt gleich aussehen und sich nur in ihrer heftigen Farbigkeit voneinander unterscheiden. Sie lebt mit ihrer ebenfalls sehr kleinen Mutter zusammen in einer Erdgeschosswohnung am Eppendorfer Weg, wo sie sich regelmäßig mit einigen anderen älteren Herrschaften zum Pokern treffen. Rena Mille ist aber keineswegs dumm, weiß Ava und wissen auch Beate und Hartwig. Rena Mille ist vielmehr ein ausgekochtes Aas, wenn es darum geht, an Informationen über andere Leute heranzukommen und sich aus winzigen Details, aus Wortfetzen, aus Stimmungslagen, aus der Haltung und dem Tonfall eines Satzes, ganze Lebensgeschichten zusammenzureimen. Auch deshalb wird in ihrer Gegenwart eher über Belangloses geredet. Ihr Wissen ist ihnen unheimlich. Frau Mille aber ist unempfindlich gegen Ablehnung. Sie geht damit um wie andere mit einem Muttermal am Arm. Es juckt sie kaum.
    «Warum soll sie sich scheiden lassen, Frau Mille?», fragt Hartwig und fühlt sich noch überlegen. Er ist der Chef, er lächelt großzügig, als würden hier kleine Scherze gemacht.
    Aber Frau Mille zuckt mit ihren runden Schultern, sodass ihr Busen unter der lila Bluse bebt. «Muss sie nicht. Wäre nur ein Vorschlag», sagt sie schlau.
    «Aber da müssen Sie doch irgendwie drauf gekommen sein, das sagt man doch nicht einfach so», sagt Hartwig, die Schlauheit von Frau Mille verkennend, die sich von niemandem und schon gar nicht vom geraden, ehrlichen Hartwig in die Enge treiben ließe.
    «Ich sage das eben doch so, wenn mir das in den Sinn kommt», sagt sie und tappt in ihren Mokassins rüber an ihren Schreibtisch. Die Mokassins sind von ihren dicken Füßchen ausgelatscht und kleben wie eine Pelle um ihr weißes Fußfleisch. Dann lässt sie sich auf ihren Bürostuhl plumpsen, der ihren Körper sanft vibrieren lässt.
    Hartwig seufzt. Er würde Ava gerne von diesem Satz befreien, aber Frau Mille ist stur wie ein Bock in solchen Dingen. Das Schlimme daran ist aber, dass sie meistens recht hat mit dem, was sie an Unverschämtheiten auf die Leute schleudert.
    «Ich verstehe immer noch nicht, wie Sie dazu kommen, so etwas zu sagen …», versucht es Hartwig ein letztes Mal.
    «Herrgott», sagt Frau Mille und lächelt süß und spitzt ihren rot bemalten Mund, «stellen Sie sich doch nicht so an. Sie muss sich doch nicht scheiden lassen, nur weil ich das sage. Es war ja nur ein Vorschlag. Ich, mit meinem bescheidenen Wissen … bitte! Aber so eine Ehe ist ja kein Kerker, da herrscht schließlich immer noch das Prinzip Freiwilligkeit. Und kommen Sie mir nicht mit Kindern. Die Kinder halten sie sich alle vor die Schürze, wenn es ernst wird, aber das ist nur Getue, glauben Sie mir, die Kinder leben so oder so weiter, nicht wahr? Und was besser ist, weiß nur der liebe Gott und der eigentlich auch nicht.» Sie stellt den Computer an und wischt mit einem kleinen blauen Tuch über den Bildschirm. «Das Leben ist ja jedem seine eigene Angelegenheit, nur am Ende soll man sich nicht beschweren, wenn es nicht so ist, wie man es gerne hätte», fügt sie dem hinzu. Dann sucht sie Belege aus dem Ablagekorb.
    «Ja», sagt Beate und räumt den Tisch ab, «manchmal ist es aber auch gar nicht schlecht, und dann lässt man es so.» Sie stellt das Geschirr in die Spüle im winzigen Küchenraum, direkt hinter Hartwigs Schreibtisch neben dem Bücherregal, das gefüllt ist mit Büchern über die richtige Pflege, und lässt Wasser in das Spülbecken laufen. Ava legt einen Teller und ein Glas in das schaumige Wasser dazu.
    «Warum willst du nicht mehr hingehen, wenn du ihn liebst?», flüstert

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