Eheroman (German Edition)
Stirn.
«Es ist nichts Besonderes», sagt sie, «nicht, dass du denkst.»
«Es ist ein Dorffest, oder?», sagt er und sieht nach vorn auf die öde, gerade Straße. Rechts und links Chausseebäume, dann wieder nichts, nur Wiesen, Gräben, ein vereinzeltes Chausseehaus.
«Stell dir vor, du wohnst hier, ganz abgelegen und mitten in der Natur, also überhaupt nicht in einem Ort oder so, und trotzdem wohnst du an der Straße, und die Autos und die Lkws sausen direkt an deinem Wohnzimmerfenster vorbei», sagt Ava.
«Das will ich mir lieber nicht vorstellen.»
«Einsam und trotzdem Verkehr. Es ist verrückt, oder?»
«Ja. Ich frage mich, warum die Leute da wohnen bleiben, da ist es doch einfach nur öde.»
«Weil die schon immer da wohnen.»
«Das ist doch kein Grund.»
«Doch. Das ist der Grund für alles, für die. Die Leute sind so. Sie heiraten und bleiben zusammen. Sie wohnen an der Chaussee und bleiben für immer da. Und wenn nebenan ein Flughafen gebaut werden würde, sie würden immer noch da wohnen, glaub mir. Das ist wie Schicksal. Das ist wie, ich kriege was geschenkt und bin damit zufrieden, für immer.»
«Das ist ganz schön beschränkt.»
«Vielleicht, aber irgendwie auch gemütlich. Wenn man nie wegzieht, dann weiß man jedenfalls, wo das Zuhause ist.»
«Ava, wird da auf dem Fest viel getrunken?»
«Ziemlich sicher.»
«Und wird da auch geknutscht mit den strammen Dorfmädels?»
«Was stellst du dir eigentlich vor? Ich komme auch von da!»
«Na, du bist doch ein strammes Dorfmädel!»
«Bin ich nicht.»
«Nein. War nur Spaß. Bisschen Spaß, Avi, aber ich finde es immer ganz urig auf solchen Festen.»
Urig? Ava sieht Andreas an. Er sitzt vorgebeugt und starrt auf die glatte, gerade Straße wie eine Krähe. Von der Seite sieht er feige aus. Seine blassen, etwas zu kleinen Augen, die immer unruhig hin und her huschen, und das langgezogene Grinsen, das sich in seinem Gesicht manchmal einnistet und kaum verschwindet. Auch die Art, wie er Auto fährt, nervt sie, er bremst abrupt und gibt zu viel Gas beim Anfahren.
Ihr Dorf ist nicht urig, auch wenn sie gegen alles ist, was mit dem Leben da zu tun hat. Aber das kann er überhaupt nicht wissen. Nur wer hier wohnt, kann dagegen sein. Er nicht, er hat überhaupt kein Recht dazu. Er macht sich nur lustig, ohne nachzudenken, so ist er immer, er denkt nur so in eine Richtung, wie er es von woandersher kennt oder gehört hat, und guckt überhaupt nicht hin, wie es wirklich ist, nämlich immer ganz anders. Alles ist immer ganz anders, als man es von woandersher kennt. Aber das begreift er einfach nicht. Eine Sekunde lang hasst sie ihn dafür. Aber so hast du es doch hingestellt, Ava, das Dorf, so hast du es ihm doch schmackhaft gemacht? Ich weiß, denkt sie. Aber er soll nicht glauben, was ich sage, er soll mich durchschauen.
«Zu meinen Eltern kann ich dir sagen, sie sind ganz nett. Mein Vater ist ein bisschen merkwürdig, er liest manchmal Gedichte vor oder so Sachen, die sich merkwürdig anhören, aber es ist alles durchdacht, in Wirklichkeit, und er ist nett. Meine Mutter ist sowieso nett. Sie ist ziemlich dick. Sehr.»
«Und dein Vater ist dünn, sehr?»
«Ja.»
«Hähähähä.» Er lacht meckernd und klatscht seine Hand auf das Lenkrad.
«Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun. Nur weil meine Mutter dick ist, muss mein Vater doch nicht auch dick sein. Er ist dünn, weil er nicht so viel isst wie sie. Da ist doch nichts zum Lachen, du Idiot. Ich seh mal irgendwann deine Eltern, dann krieg ich auch was zum Lachen, ich kann mir schon vorstellen, wie die sind, einer von denen hat jedenfalls Riesennasenlöcher.»
Die Mutter begrüßt sie in einem neuen Kleid, das aussieht wie ein orangefarbener Sack aus Windelstoff. Um den Hals eine lange Kette, bestehend aus großen, faserigen Holzmurmeln. Ava starrt die Kette an und das Kleid. Die Mutter ist neuerdings in einem Handarbeitskreis im Nachbardorf zugange und bringt von dort Anregungen für das Haus und für sich selbst mit. Die Holzperlenkette ist eindeutig aus dem Handarbeitskreis. Die Leiterin ist ein großer Fan von Reiki und irgendeinem Öl und Naturmaterialien.
«Kommt doch rein, Kinder, ich freu mich so.»
«Hast du ein neues Kleid, Mummi?»
«Habe ich selbst genäht. Gefällt es dir nicht?»
«Du hast es selbst genäht?»
«Ja. Im Handarbeitskreis. Es sitzt ganz gut. Findest du nicht?»
«Mummi, es hängt einfach so runter, wie soll es denn sitzen?»
«Ava, es sitzt gut, weil
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