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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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uns gegenseitig gemacht, die Auszubildenden, auch zum Üben, weißt du? Die sind ganz cool da. Die machen die neuesten Sachen. Ich würde auch gerne später mal so Leute vom Film und so frisieren. Hier draußen machen die ja immer nur dasselbe. Hier regen die sich auch schon auf über die Frisur. Wie findste das?» Sie dreht sich und strahlt, und Ava kann nicht anders, als zu sagen: «Wow, das schockt echt, Bine! Das ist echt so super.»
    «Nicht? Ich mach auch bald mal ne andere Farbe, Rot oder Schwarz. Wie ich Lust habe.»

    Später am Abend sitzen die Eltern an einem der Biergartentische, die Mutter orange leuchtend, eine Strickjacke über den Schultern, ihre Holzkette zwischen den Brüsten baumelnd. Ihr Gesicht ist rot erhitzt vom Wein, der Vater daneben, das schwarz gewellte Haar von dicken weißen Strähnen durchzogen, als wäre er ein geschecktes Tier, leicht vornübergebeugt, sein Weinglas festhaltend und grübelnd. Die Musik der sechziger und siebziger Jahre hüllt den Dorfplatz und die sich auf den Bänken und Stühlen unterhaltenden Menschen in ein Zelt aus müden, alten Tönen. Vereinzelt hocken Kinder halbschlafstarrend auf und neben ihren Eltern. Einige jüngere Mädchen, pubertär kichernd, versuchen sich am Tanzen. Ihre Frisuren sind mühevoll hochgesteckt und mit Glitzer und Haarspray fixiert, ihre Augen farbig angemalt, die kleinen Münder verschmiert, sie tanzen und sehen sich nach Jungen um und bleiben stehen und tanzen weiter.
    Ava sitzt mit Andreas in einem Kreis von Leuten auf leeren Bierkisten um den Stand von Markus. Petra sitzt auf der Erde, auf den immer noch warmen Steinplatten, ein Bier in der Hand, den Kopf gegen den Tisch gelehnt und das Gesicht gen Himmel gereckt, die Augen leicht geschlossen. Ihr Gesicht wiegt sich kaum sichtbar im bekannten Einerlei der Oldies.
    «Mach doch mal was anderes!», wagt jemand zu sagen, Thomas Beyer, mit rotem Haar und kleinem Bauchansatz.
    Markus starrt ihn aus seinen kleinen, runden Augen an, als hätte er etwas unglaublich Dummes gesagt. Er würdigt ihn keiner Antwort.
    «Mach doch mal Modern Talking oder so. Nich immer nur für die Alten.»
    Sabine nickt. «Oder mach Nena. Nena ist auch cool. Oder Michael Jackson. Da steh ich total drauf.»
    «Michael Jackson ist ne Schwuchtel», sagt Markus und lächelt, «und Nena auch.»
    «Nena ist ne Frau», sagt Sabine.
    «Und?»
    «Ne Schwuchtel ist immer ein Mann und keine Frau.»
    Markus nickt, und das Nicken geht in ein Musikmitnicken über. Ende der Diskussion.
    Petra öffnet die Augen. «Nena ist nicht so schlecht. 99 Luftballons. Find ich nicht schlecht.»
    «Mach mich nicht fertig», sagt Markus.
    «Was ist mit Modern Talking?», fragt Thomas. «Ich hab die zu Hause, kann ich holen, geht echt ab. Modern Talking.»
    «Dann kannste gleich dableiben und dir dein Modern Talking zu Hause anhören», sagt Markus. Ava vermutet, dass Markus Modern Talking gar nicht kennt, sonst hätte er ziemlich sicher auch hier die Schwuchtelfrage diskutiert.
    Andreas sitzt auf seiner Bierkiste und grinst und trinkt ungefähr sein zwölftes Bier. Bis hierher hat er sich prächtig amüsiert. Er hat sich mit Petra unterhalten, mit Sabine recht lange, mit Thomas, sogar Matthias, und vor allem mit Markus. Erst hat er sich nur lustig gemacht, dann, mit jedem Bier mehr, hat er sich eingepasst in die Gesellschaft der Dörfler, hat ihre Sprache und Scherze übernommen, willenlos, wie ein Chamäleon, als wäre er nicht vollkommen anders und bald Arzt. Als Markus Michael Jackson eine Schwuchtel nannte, hat er sich auf den Schenkel gehauen und gelacht, Bier ist auf seine Hose getropft, zwischendrin hat er Ava an sich gedrückt und feucht auf die Lippen geküsst. Sie hat ihn ein wenig weggeschoben und gesehen, dass Markus sie beobachtet. Markus hat die Augen und die Lippen zusammengekniffen und wahrscheinlich Dinge gedacht, die er lieber nicht denken sollte. Diese Dinge machen Ava Angst. Markus hat dann seine Diskussion über die Musikwünsche geführt, und Ava wird das Gefühl nicht los, dass Markus nicht so übel ist und Petra und Markus schon jetzt, am Anfang ihres Lebens, sich wortlos verstehen und keine Aufregungen und keine Veränderungen mehr benötigen. Neid packt sie, Neid auf Petra, Neid auf ihre Ehe und ihr Haus und ihre Zuversicht. Sie steht auf und sagt zu Andreas: «Ich geh kurz nach Hause zum Pinkeln.» Andreas hebt die Hand und nimmt einen Schluck Bier und dreht sich wieder erfreut zu Sabine, deren blond dauergewellter

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