Eheroman (German Edition)
ein bisschen weg. Sie hat ihr Leben lang im Krankenhaus geputzt. Jetzt liegt sie dort und ist nicht totzukriegen, sagen die Ärzte, es ist ein Wunder, sie dürfte gar nicht mehr leben, mit den kaputten Organen in sich drin. Ava würde ihr jede Portion Schmerzmittel geben, die sie will, Hauptsache sie weint nicht still und zitternd vor sich hin. Hauptsache, sie krümmt sich nicht und hustet nicht.
Es gibt Patienten, die wollen das nicht, die wollen lieber wach sein, trotz der Schmerzen, das respektieren die Ärzte, Ava auch, aber es macht sie sehr wütend. Denn es ist gemein, es ist so gemein, wenn man das mitansehen muss, dann merkt man erst, wie gemein das ist, doch selbst dann weiß man es noch nicht einmal wirklich. Das tut man erst, wenn man selbst da liegt und weint. Das findet auch Hartwig. Er sagt: «Avi, es ist nicht so, wie du es dir vorstellst, es ist schlimmer. Aber du musst es dir echt nicht reinziehen, weil es nicht deine Schuld ist. Irgendwann kommt jeder mal dran mit irgend nem Mist, und wenn du drankommst, irgendwann, dann kannst du es dir schön in Ruhe reinziehen, bis dahin lass denen ihren Mist und mach ordentlich deine Arbeit.» Hartwig weiß ganz genau, wie man das machen muss, streng sein und die Lage peilen, was nötig ist, was machbar ist, Zeit ist sowieso zu wenig und Arbeit zu viel, also muss man ganz viel abwägen, alles schnell und nebenbei Tee verteilen und auf die Sauberkeit achten. Hartwig kann das alles und dabei noch gut bleiben. Nur wenn er draußen auf der Bank an seiner Lucky ohne zieht, starrt er ins Leere und interessiert sich für nichts mehr und will nicht angequatscht werden. Sonst ist er immer guter Laune und voller Kraft.
Zu Ava sagt er: «Ich will mich ja nicht einmischen, Avi, aber mit dem Speichellecker lass dich lieber nicht ein! Der meint es nicht ehrlich.»
Ava zieht die Lippe hoch. «Das musst du gerade sagen. Ich mach, was ich will, und wenn ich mich einlassen will, dann tu ich es, außerdem, wer sagt dir denn, dass ich mich einlasse, ich bin doch nicht blöd.»
«Klein und dumm bist du. Und der weiß nicht, was er will, der ist noch unreifer als du, Fräulein, aber ich will mich nicht einmischen, ich kenn ihn auch nicht so wie du.»
«Eben.»
Ava ist bei Frau Schultetee und ihrem Mann eingezogen. Sie ist die Schwester von der Freundin ihrer Mutter. Die Schultetees wohnen in einem backsteinernen Endreihenhaus in Lüneburg. Das Haus hat einen kleinen Garten, in dem ein Springbrunnen und einige Rehe aus Gips stehen. «Er ist bisschen so für Kitsch», sagt Frau Schultetee zu Ava, als sie ihr den Garten zeigt. Die Schultetees haben eine Tochter und einen Sohn. Beide wohnen inzwischen in Hamburg und studieren Betriebswirtschaft im Endstadium. Herr Schultetee hat seine Arbeit als Filialleiter verloren, deshalb ist das Geld knapp. «Die Kinder kommen auch gar nicht mehr», sagt Frau Schultetee. Die Kinder sind, seit Ava bei den Schultetees eingezogen ist, tatsächlich noch nie da gewesen.
Sie wohnt oben im Dachgeschoss. Sie geht durch die Eingangstür an den Schuhen und Jacken vorbei, eine Holztreppe empor, da ist ein winziger, holzverkleideter Flur und rechts eine tapezierte Tür zu ihrem Zimmer. Links ist noch ein halbes Zimmer, das Näh- und Wäschezimmer von Frau Schultetee. Zwischen den beiden Räumen befindet sich ihr eigenes Bad mit Dusche und WC. Wenn sie mal baden will, kann sie auch Bescheid sagen und dann unten, meint Frau Schultetee. Das Zimmer liegt über dem Garten mit den Gipsrehen und dem Springbrunnen. Sie kann auch in den Garten der Nachbarn sehen. Die haben knallglatten Rasen, sonst nichts. Eine Markise über der Terrasse, die betoniert ist, ein Schlauch liegt ewig herum, zur Rasenbewässerung, Plastikstühle, ineinandergestapelt, nie jemand da. «Wir sind mehr für gemütlich», so die Schultetees mit Blick auf den Nazirasen. Aber die Nachbarn sind keine Nazis. Nur praktisch veranlagt. Sie arbeiten viel und genießen den Rasen selten.
Das Leben bei den Schultetees ist so weit ganz angenehm, ihr Zimmer hat sie sich hingeräumt, die Wände hellgrün angestrichen, ein Poster von Madonna an die Wand geklebt, ein Ikeabett aus Kiefernholz, eine Miniküche mit zwei Kochplatten, ein kleiner Blaupunktfernseher und ein Regal mit ihren Fachbüchern und Romanen. Nur eines geht ganz schlecht in ihrer Bude. Männerbesuch. Das wurde gleich mal am Anfang klargestellt. Herr Schultetee, der sich generell raushält, obwohl er es ist, der den ganzen Tag zu Hause
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