Eheroman (German Edition)
tanzt ihr schön, Kinder, später wird hier richtig gedanct, yesterday man, I’m your yesterday man. Wo’s’n Peti, ich seh die gar nicht mehr, die sollte mal Bier herfahren, Kiste ist bald alle.»
Ava zuckt mit den Schultern.
«Ich dachte, sie ist bei dir. Aber schaut euch mal um, die kommt schon, die is irgendwo …», er überlegt kurz und starrt dabei in die Luft, und die Kassette spielt das nächste Lied, «bei Nina wollte sie hin, glaube ich, oder? Ich glaube, sie wollte bei Nina hin, hat sie jedenfalls gesagt, ich weiß es nicht mehr so genau.»
Elvis Presley singt «In the ghettooo».
Ava winkt ab und zieht Andreas weiter mit sich. Die Abendsonne scheint mild zwischen den Blättern der zwei Kastanien hindurch, die schon lange Schatten über den Platz werfen. Alte Hitze dampft von den rötlichen Steinplatten hoch, auf denen Markus seinen Tisch und die Lautsprecher aufgebaut hat. Die Leute sitzen und stehen herum, noch verhalten lachend, noch über den Tag redend, über die Preise und den Opel, die neuen Kranken und die neuen Toten. Die Vorfreude hängt in der sich abkühlenden Luft. Die Vorfreude kriecht irgendwie auch in Ava rein, in Form von Erinnerung an die Vorfreude der Kindheit, als sie, hüpfend vor Glück, von einem Erwachsenen zum nächsten sprang und das Dorf ihr wie der Mittelpunkt von allem vorkam. Als die ältere Schwester mit einem Beutel voll Kleingeld großzügig Schokoeis und Cola besorgte, als sie vorsichtig in ihrer neuen rosa Jeans von C&A nach der Erwachsenenmusik tanzte, ganz genau wie die älteren Mädchen, probehalber, dann wieder wegrannte, sich mit den anderen in der dämmrigen Dunkelheit versteckte, verschmutzt und glühend, als es später wurde, damit die Eltern sie nicht nach Hause schicken konnten, denn die Eltern saßen irgendwann schließlich wie festgeschraubt auf dem Platz, müde und betrunken und nicht mehr fähig, ein Kind zu suchen und zu ermahnen. An solch einem Abend war es einmal geschehen, dass ihr der Vater so traurig vorkam, weil er allein auf seinem Stuhl saß und auf die Tischdecke starrte, mit einem Glas Wein vor sich, nicht zu den Männern gehörig, die grober sprachen als er und die dicker waren, mit dickeren Armen und lauteren Stimmen. Amanda Lear sang, sie fürchtete sich immer vor Amanda Lear, die Nacht brach gerade an, und sie hatte nach der Toilette gesucht und sich deshalb kurz von den anderen Kindern getrennt, da saß er plötzlich, der schmale Vater, und sah mit rotem Gesicht vor sich hin und kam ihr so unendlich einsam vor, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Schnell rannte sie in die Toiletten im Vereinshaus, pinkelte und wischte sich die Tränen mit Klopapier ab. Als sie vom Klo zurückkam, stand der Vater neben zwei anderen Männern und unterhielt sich und lachte, als wäre das normal, da wallte die Erleichterung mit solcher Wucht in ihrem Herzen auf, dass sie Peter Scholz in die Büsche am Teich schubste, ohne Vorwarnung, aus purem Übermut, fast wäre er im Wasser gelandet, um sich dann ewig von ihm jagen zu lassen, denn Peter Scholz hätte so etwas nie ungerächt gelassen.
Heute hat der Wirt vom Dorf nebenan – das eigene Dorf hat keine Kneipe – einen fahrbaren achteckigen Stand auf den Dorfplatz am Teich gestellt und Partybänke um die halb eingerissene, durch einen Blitz gespaltenen Linde am Teich gruppiert. Gleich daneben steht der große, selbstgeschmiedete Grill vom Schweinebauern im Gras, der mit einer blauen Schürze um den runden Bauch und rotem Gesicht, über das Schweißperlen laufen, qualmende Bratwürste wendet. An seinem Stand eine kleine Menge von Leuten mit Bieren und Würsten. Dazwischen rennen die Kinder hin und her, der weiße Spitz von Meiers bellt und bellt, ohne, dass es jemanden interessiert, mit einer Leine um den Hals in der Macht von Meiers kleiner Tochter Claudia.
Sabine ruft von hinten: «Ava, eh!» Sie kommt hinter den Kastanienbäumen angerannt, sie ist etwas dicker geworden, sieht Ava, ihr fülliger Körper bebt unter den Erschütterungen, sie trägt einen langen schmalen Rock mit breiten Trägern über einer weiten Bluse. Sie hat eine gewaltige blonde Dauerwelle im Haar. Ava hätte sie fast nicht erkannt mit ihrem Riesenkopf.
«Bine!»
Sabine umarmt sie und begrüßt Andreas.
Andreas sagt: «Hi. Super Dorf hier!»
«Na ja.» Sabine zuckt mit den Schultern. «Geht so. Ich bin ja jetzt in Hamburg.»
«Du hast ne neue Frisur?»
Sabine fasst mit der Hand in ihre gelbblonden Haare. «Haben wir
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