Eheroman (German Edition)
wird.
«André Breton hat jede Menge Drogen genommen, mit seinen Freunden, und sie haben Texte geschrieben, automatisches Schreiben, weißt du? Ganz tolle Texte, und haben ordentlich Drogen genommen. So machen wir das auch.»
Jensen kichert.
«Wen meinst du mit ‹wir›?», fragt Danilo. «Sag nicht, du meinst mit ‹wir› uns. Wir sind nicht die wir, die du meinst, falls du das meinst. Deinen Text musst du alleine schreiben. Das geht auch gar nicht, einen Text zu dritt zu schreiben.»
«Du bist nur noch nicht in der Lage, zu begreifen, dass das wohl geht, Mann, alles geht, wenn diese Pflänzchen der reinen Natur in uns eingedrungen ist, wir sind dann zu dritt so wie einer, mit einem gemeinsamen, dreiteiligen Arm, und dann …»
«Seid ihr schwul?», fragt Jensen.
Die drei starren ihn an, als wäre er ein Huhn oder ähnlich dummes Tier, und reden unbeeindruckt weiter, während der Joint gedreht und angezündet wird.
«André Breton würde nicht so eng denken wie ihr. Er hätte in fünf Minuten einen so was von phantastischen Text geschrieben, und zwar auch zu dritt oder zu siebent, und es wäre ihm egal, ob er oder wer anders den Text schreiben muss, weil es keine Zwänge für ihn gab.»
«Er kann nicht zu dritt schreiben oder was auch immer, das geht schon grammatisch nicht, so etwas zu sagen, er ist immer im Singular.»
«Klar», sagt John, «ich scheiß auf Grammatik.»
Der Joint kreist, auch Jensen darf ziehen und trinkt dazu Früchtetee, als wäre es Bier. Ava und Beate ziehen, und es ist für einen Moment fast gemütlich in der raufasertapezierten Bude von Ava und Danilo, in ihrem fast familiären Zuhause.
«Ja, aber es wäre ein Text, mit dem die Braschziegert nicht einverstanden wäre. Das Unbewusste und das Traumhafte sind nicht unbedingt das, was die anstrebt oder womit die überhaupt auch nur ein bisschen was anfangen kann, die will Fakten und Sätze, die verschiedene Satzanfänge haben, und Gliederung und so was und keinen automatischen Kifferschwachsinn», überlegt Danilo dann.
«Aber darum geht es doch hier nun mal», sagt Florian. «Wieso dann nicht auch in der Form? Form und Inhalt können doch so …», er hebt die Hände, um die Bewegung von Inhalt und Form zu demonstrieren, «konvergieren.» Er stößt den Rauch aus und lehnt sich zurück und lacht ganz, ganz leise in die Luft.
Jensen stützt den Kopf auf die Hand und seufzt langsam und laut. Alle sehen ihn kurz an und wenden sich dann wieder einander zu.
«Weil sie nicht offen ist», sagt Danilo, «die Braschziegert ist nicht offen. Die hat Deutschlehrerin gelernt, und das ist ganz klar ein Zeichen für mangelnde kreative Potenz. Sie hat nur eines im Sinn: die Regeln. Sie ist der Prototyp einer Lehrerin.»
«Und sie hat einen eiförmigen Kopf», meint John.
«Das ist wahr, das stellt eine Art von Perfektion dar, ich habe selten einen so eiförmigen Kopf gesehen, sie hat auch so …» Danilo hustet ein wenig und reicht den Joint Ava. Dann streicht er mit der Hand über seinen wolligen Kopfpelz und blickt in die Ferne, die außerhalb der sichtbaren Zimmerwand existiert. Er hustet leise, räuspert sich und fährt fort, während die anderen sensibel angespannt, hochkonzentriert lauschen und ihre Glieder es sich auf dem fleckigen Teppichboden auf lässige Weise bequem gemacht haben. «Ihre Haut wie die blasse Schale eines ungekochten, gerade entschlüpften Eis.» Danilo hebt theatralisch die Hand einer imaginären Frau Braschziegert entgegen. «Ihr Haar wie das zarte, graue Gespinst einer Aranea, ihre Lippen – scharfe Messer, zuweilen feucht vom zischenden Nebel der Animositäten, ihr alternder Körper gehüllt in die Stoffe der C&A …»
«Wat?» Jensen schüttelt den Kopf und steht auf. «Seid ihr bekloppt?»
John und Florian wälzen sich und klopfen auf die Erde und auf die herumliegenden Cordkissen. John brüllt: «Du bist so ein schöner Idiot, Androsevich. Du darfst mein Referat schreiben. Ich lasse dir die Ehre.»
«Wenn ich wollte, würde ich das können, ohne groß nachzulesen, ich kenne mich aus mit Surrealismus, weil es ein interessantes Thema ist. Aber ich werde dir Arschloch nicht die Arbeit schreiben, du schmarotzt dich immer nur so durch, und am Ende wirst du was Besseres als wir alle, obwohl du strohdumm bist, das ist bei Strohdummen immer so, dass sie am Ende was Besseres werden, das ist die Ironie des Lebens, nicht, Jensen, was sagst du?»
Jensen zuckt über seinem Früchtetee zusammen, und Beate lächelt
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