Eheroman (German Edition)
doch, und wie sie im Gesicht aussieht und kaum noch isst und manchmal mit Denken aufhört, Danni, ich hab das schon oft gesehen, ich bin kein Arzt, aber ich weiß, dass das was Böses ist.»
«Sie ist alt», sagt Danilo.
«Ja, aber du bist auch mal alt. Meinst du, du findest es dann in Ordnung, wenn alles langsam immer mehr scheiße wird? Ich will das nicht, Danilo. Ich will es schön haben, wenn ich alt bin. Ich will ein schönes Leben haben, wenn ich alt bin. Und nicht das.»
«Du hast dann ja noch mich, und dann ist alles schön», sagt Danilo.
Ava starrt auf den Rauch, den Danilo, halb liegend, kunstvoll über sich bläst.
«Herrgott, Danni, das glaubst du doch selbst nicht.»
Beate ist mit Jensen gekommen. Jensen ist Beates neuer Freund. Er hat langes blondes Haar, das auf eine leicht ölige Art und Weise gesund aussieht. Ava nimmt während der Begrüßung wahr, dass das Öl in dem Haar nach Mandeln riecht, aber nicht übel oder ungesund nach Mandeln, sondern frisch und angenehm. Er trägt eine vermutlich unscharfe Rasierklinge an einer Kette um den Hals, das Hemd ist so weit geöffnet, dass die Rasierklinge auf seinem gebräunten Brustkorb zur Geltung kommt, und beruflich fährt er Lkw. Beate erzählt, wie sie Jensen bei Lidl kennengelernt hat, als sie um neunzehn Uhr an der Kasse stand und merkte, dass sie ihr Portemonnaie nicht dabeihatte.
«Ich hatte den ganzen Wagen voll, Ava, alles fürs Wochenende, ich hatte nichts zum Essen mehr zu Hause, und darum hatte ich den Wagen voll, und dann kein Geld, nichts. Eh. Ich stand da, die Schicht war schon so scheiße gewesen, nur Ärger in der Schicht, ich hätte schon vor den Regalen am liebsten geheult, und wie Pudding war mein Körper, und latsche so richtig übermüdet durch die Gänge, aber muss ja, du weißt, kein Essen zu Hause, ich bin manchmal so richtig depressiv dann, kennst du das? Ich weiß nicht, wieso, es ist ja auch nicht so schlimm eigentlich, und dann so, und die Verkäuferin sagt: ‹Ja, schön, jetzt habe ich alles eingetippt, dann mache ich also Storno, wir haben ja sonst nichts zu tun, und Sie gehen dann schön mal zurück und räumen alles wieder in die Regale.› Ava, ich steh da und fang an zu heulen wie ein Baby. Ich steh an der Kasse bei der blöden Kuh und steh da und mach nichts, ich halte mich bei der Kasse richtig mit der Hand so da fest und heule. Und wie ich aussah! Ich hatte keinen Schlaf die Woche wegen Schicht und ich sah aus wie ausgekotzt, im Gesicht sowieso, wegen kein Schlaf, und dann, was ich anhatte! Ich hatte einfach an, was bei mir vor meinem Bett auf der Erde lag, das hatte ich angezogen, das war knüllig und schmutzig und oll, egal, und bin raus zu Lidl. Ohne Waschen, ohne Kämmen.»
Beate sieht zu Jensen rüber, dessen Auftritt jetzt wahrscheinlich kommt. Jensen spielt an einer seiner öligen Mandelhaarsträhnen und trinkt winzige Schlückchen von dem Tee, den Ava gekocht hat. Früchtetee. Er schmeckt scheußlich. Sie weiß es auch. Aber sie hatten nur noch den. Sonst nur Wasser aus der Leitung.
Beate nimmt einen Schluck von ihrem Tee. «Jensen ist dann zu der Kassenkuh hin und hat alles bezahlt. Einfach so. Er hat gesagt: ‹Nich heulen, ich bezahl es, nur nicht heulen, bitte, Frau.› Er hat ‹Frau› gesagt.»
«Wie soll ich es sonst sagen?», sagt Jensen. «Wenn ich den Namen nicht weiß.»
«Ava, er steht da und kennt mich gar nicht und sieht aus wie, ich weiß es nicht, ich konnte es einfach nicht glauben, wie hübsch er aussah, und sagt ‹so und so› und bezahlt einfach. ‹Frau› hat Jensen mit nach Hause genommen und gleich den Abend dabehalten», sagt Beate und strahlt und ist froh wie lange nicht.
Hoffentlich bleibt es eine Weile so, denkt Ava, und hoffentlich ist Jensen nett und gut. Er hat einen breiten Brustkorb und ein Gesicht wie ein Kind, sein Strahlen ist dem von Beate verwandt, aber sein Blick kindlicher als der von Beate, deren dauerhafte Müdigkeit sie immer wie eine richtige Frau aussehen lässt, eine Frau mit einem Mann und einem Haushalt und jeder Menge Gören.
«Fährst du schon lange Lkw?», fragt sie Jensen.
Jensen nickt. «Ich fahre Lkw, seit ich den Lappen habe. Seit ich einundzwanzig bin. Ich war erst bei Hendrik Mietz GmbH als Schlosser und hatte keinen Bock mehr auf Autos schrauben, alle schreien rum und glauben, sie sind besser als die anderen, sind sie aber nicht. Ich wollte lieber raus und fahren. Draußen ist schöner. Sagt dir keiner was. Redet dir keiner rein.
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