Eheroman (German Edition)
hängen, duzt sie mal, siezt sie mal, ist immer hin- und hergerissen, zwischen jetzt und gestern und Salzstreuern und Erinnerungen. In einem Strudel von Ereignissen eines alten, merkwürdigen Lebens, am Ende sind es vermutlich alles alte, merkwürdige Leben, so im Nachhinein, wenn man den Überblick hat. Es ist unmöglich, wenn man so wie Ava ist, sich dagegen zu wehren. Sie nimmt den Pappkarton und geht beschwipst hinunter in ihre Wohnung.
«Sie hat dir Salzstreuer geschenkt?», fragt Danilo.
«Salz- und Pfefferstreuer. Von WMF», sagt Ava.
«Ah. Na dann.»
«Sie hat es von ihrem Sohn bekommen und konnte es nicht gebrauchen.»
«Sehr nett.»
«Es ist nett. Sie ist so eine süße, liebe Frau.»
«Ava, du findest alle süß und lieb. Du musst dich mehr abgrenzen.»
«Alle gar nicht.»
«Doch. Du lässt die Leute immer zu nah an dich ran. Was geht dich denn die verrückte Alte an. Die stinkt doch. Und du musst der am Ende immerzu helfen.»
Danilo hat recht. Aber die Gefahr, von der er spricht, dass sie am Ende den Leuten immer helfen muss und in Situationen gerät, wo mehr von ihr verlangt wird, als sie freiwillig hätte geben wollen, die Gefahr geht sie ja bewusst ein. Sie ist ja nicht dumm. Sie weiß ja, wie es ist, wenn man anfängt, mehr zu tun, als man muss, und mit Leuten länger redet, als man Zeit hat, und welche Konsequenzen das hat. Sie arbeitet im Krankenhaus.
«Danilo, das verstehst du nicht. Wenn du sie selber so hören würdest, dann würdest du es aber verstehen. Es ist schön bei ihr in der Küche, auch wenn es stinkt.»
«Such dir doch mal Freunde, die zu dir passen!»
«Ich habe doch Freunde. Beate zum Beispiel.»
«Ja. Beate.»
Der Ton, in dem Danilo das sagt, macht sie wütend. Er sagt nicht mehr dazu, aber Ava weiß, was Danilo denkt. Sie versteht ihn, aber er versteht sie nicht. Das ist das Problem.
Als sie am Abend im Bett liegen, als Danilo seinen nackten Körper auf der Matratze herumdreht, um die richtige Position zu finden, in der er sein Buch lesen kann, fragt sie sich, ob sie jemals so zusammen sein können wie alte Ehepaare, die einander wortlos verstehen. Die selbst das verstehen, was sie am anderen nicht verstehen, weil sie sich im anderen befinden. Das ist hier nicht der Fall, denkt sie. Hier ist alles nur jung und unausgegoren. Danilo ist schön und klug und hat immer recht in allem. Seine Gedanken dringen in sie ein, als wäre es alles so – richtig und nicht anzuzweifeln. Aber ihre Gedanken prallen an ihm ab und haben für ihn keine Bedeutung. Und wenn das so ist, welche Bedeutung hat sie dann überhaupt für ihn?
Beate fragt sofort nach Stulle. «Ava, es tut mir so leid, dass wir dich allein haben nach Haus gehen lassen. Ich kenn den doch gar nicht, aber ich war so voll, Ava, so voll, ich konnte kaum noch vernünftig handeln. Ich dachte, mir kam es so vor, als wolltest du, dass Stulle dich nach Hause bringt. War es so? Aber Mann, es war doch auch ganz egal, ich hätte es nicht tun dürfen, auch nicht, wenn du es wolltest, weil ich ihn ja gar nicht richtig kenne.»
«Es war schon in Ordnung», sagt Ava.
«Ist das alles?»
«Nein. Du kannst alles wissen. Du erzählst mir ja auch immer alles, was du erlebst.»
«Was ich erlebe? Was hast du denn erlebt, Ava? Was war denn?»
Ava bindet sich ihren Kittel zu, während Beate um sie herumhüpft und heißen Kaffee aus einer Glastasse trinkt.
«Ich bin mit zu Stulle nach Hause gegangen und habe mit ihm geschlafen. Erst wollte er nicht, aber später doch. Und am nächsten Morgen klingelte seine Freundin.»
Beate steht mit offenem Mund und dampfendem Kaffee vor Ava. «Ava? Das kann doch echt nicht wahr sein, oder? Wie konntest du so was nur tun? Du bist doch normal gar nicht so. Ich bin doch so, und nicht du! Es ist alles meine Schuld, es tut mir so leid, Ava, ich hätte dich nicht so besoffen da mit dem zurücklassen sollen, und Jensen sagt noch, der ist in Ordnung, schön in Ordnung, schön in Ordnung, die sind doch alle auf dieselbe Art in Ordnung, Mann, Ava.»
«Beate, krieg dich mal wieder ein, es ist nicht seine Schuld, ich wollte es doch. Er eigentlich gar nicht, also nicht so besonders. Er wollte nicht mal mit mir schlafen, als ich nackt bei ihm im Bett lag. Ich ziehe mich aus, und er sagt nein. Ich dachte fast, ich wär hässlich.»
«Aber Ava, was ist denn mit Danilo?»
Ava zuckt mit den Schultern. Was ist mit Danilo? Das ist die große Frage. Die stellt sie sich andauernd. Was ist nur mit Danilo.
«Er
Weitere Kostenlose Bücher