Eheroman (German Edition)
oben die Königin über die lange graue Autobahn.
«Alles gut?», fragt Stulle und summt dem Radio hinterher. Seine braunen Arme liegen ruhig auf dem Lenkrad, und jedes einzelne weißblonde Härchen hat sich aufgerichtet, im Gebläse der Kühlung. Er ist süß.
«Stulle, es ist so super. Ich freu mich so!» Und indem sie das sagt, ist es auch so. Endlich wallt die hinter dem Gewissen und der Furcht verborgen gebliebene Freude über ihren Mut und das Abenteuer in ihr Herz. Na und. Sie macht, was sie will. Na und, Eltern, na und, Danilo! Es ist ihr Leben, und alles sind ihre Entscheidungen. Sie will auch mal auf der Autobahn sein, wie die anderen, und auch mal böse sein und egoistisch.
«Hast du schon mal Sex beim Fahren gehabt?», fragt sie und denkt an eine Szene in einem Film.
«Nein», sagt Stulle.
«Willst du vielleicht?», fragt Ava und ist zu fast allen verbotenen, gefährlichen Aktionen bereit, weil sie in so einer Stimmung ist.
«Nein», sagt Stulle.
Das ernüchtert sie.
«Ich könnte dir während des Fahrens einen blasen.»
Stulle lächelt wieder auf diese freundliche, verzeihende Weise, die ihn so alt erscheinen lässt. «Ich würde nicht mal anhalten, damit du mir auf dem Parkplatz einen lutschst. Nichts. Ich bin jetzt gerade erst unterwegs. Jetzt ist morgens, und die Sonne geht auf.»
«Du musst ja nicht anhalten»
«Ava, denk doch mal nach. Für mich ist das hier, wie wenn du im Krankenhaus den Flur langgehst.»
Ava nickt.
«Weil du dabei bist, ist es natürlich viel schöner. Aber ich geh dabei ab wie eine Rakete, stell dir vor, und du willst doch leben, Ava? Das willst du doch? Oder?»
«Du gehst ab wie eine Rakete?»
«Ja. Das mag ich wirklich gern.»
«Ja?»
«Mann. Das mag doch jeder Mann gern?»
Eigentlich wurde das so in jedem Film und von jedem Mann erzählt, eigentlich war das allgemein bekannt, aber Ava hatte noch nicht so darüber nachgedacht, weil sie selbst es bei Danilo nie tat. Nicht, dass sie nicht dazu bereit wäre, aber Sex mit Danilo war immer eine Sache, bei der beide ineinander verschlungen waren und sich küssten, immer gleichzeitig beide verschlungen und sich liebend. Auch, wenn sie böse miteinander waren. Es war nichts, wo einer daliegt und der andere macht. Das war nicht Danilos Sache.
«Es war nur so eine Idee», sagt Ava.
«Ideen kannst du haben», sagt Stulle und nimmt sein Gepfeife laut wieder auf, als habe allein die Idee ihn in eine vergnügte Stimmung versetzt. «Bei Gelegenheit kannst du’s gerne tun. Wenn ich Feierabend habe. Wenn wir gegessen haben und alles.»
«Wenn wir gegessen haben?» Ava schüttelt den Kopf. «Wir sind doch kein Ehepaar. Sex nach dem Abwasch. Nee, vergiss das. Es war nur so eine Idee, ganz spontan, aber ist schon vorbei.»
Sie fahren eine Weile stumm und hängen jeder für sich ihren Gedanken nach, während der strahlende Tag sich vor ihnen ausbreitet und die Hitze sich schon auf der Straße einnistet. Vor ihnen ein dichter Strom von Fahrzeugen, alle unterwegs mit einem Ziel, nur Ava hat kein Ziel, sie fährt nur mit und weg von ihrem geplanten Urlaub mit ihrem regulären Freund. Vielleicht ist jetzt auch Schluss.
Vier Stunden später glüht die Sonne bereits, aber im Lkw ist es angenehm, nur die Helligkeit brennt in den Augen, und Ava hat keine Sonnenbrille. Die Notwendigkeit geht ihr auf, als ihre Augen tatsächlich brennen, und sie sagt zu Stulle: «Stulle, ich brauche eine Sonnenbrille, so wie du. Meine Augen brennen wie Feuer.»
Stulle fährt ran, er wollte sowieso ranfahren. Ava klettert herab auf die Erde und streckt sich, zwischen den hohen Rädern der parkenden Lkws. Sie läuft rüber in die Tankstelle und probiert Sonnenbrillen auf, während Stulle das Klo aufsucht. Das muss sie allerdings auch noch aufsuchen. Aber die brennenden Augen scheinen noch dringender. Sie kauft sich eine schwarze Sonnenbrille, die ein bisschen aussieht wie eine Ray Ban, sie hat die zwei Körnchen in den Winkeln und sogar einen ähnlichen Schriftzug auf dem Bügel, ist aber keine Ray Ban, ist von der Tankstelle. Sie bezahlt, setzt sie auf, als würde das sofort was ändern, und es ändert sofort was, es macht den grellen Tag erträglich, und schlendert im sanften Licht zum Klo. Und da beginnt der Anfang vom Ärger. Ava taucht aus dem blendenden Tag in die bläuliche Tiefe der neonbehellten Sanitäreinrichtungen des Rastplatzes und öffnet, wie sich herausstellen soll, eine Tür, die sie nicht hätte öffnen sollen. Sie schließt die
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