Eheroman (German Edition)
nebenher gesagt, aber Ava wird ganz wach bei diesem Satz. «Kann man das? Kann man bei dir mitkommen?»
«Du kannst es jedenfalls, weil ich dich einfach an der Straße auflesen und mitnehmen werde. Fertig.»
«Ich mach das», sagt Ava und verschluckt sich fast angesichts der Ungeheuerlichkeit ihrer Idee.
«Sicher? Musst du nicht arbeiten?»
«Nein, ich fahre morgen mit Danilo in den Urlaub.»
«Echt?» Stulle lässt sich rückwärts auf die Matratze fallen und lacht sich kaputt.
Ava lächelt dazu. Es ist lustig. Das stimmt. Aber das ist ja das Schöne daran. Sie wird es genau so machen, sie wird morgen früh mit Stulle nach Portugal fahren. Das wird ein neuer Anfang in ihrem Leben. Soll Danilo mit seinen Freunden an die Ostsee fahren. Er wird sie kaum vermissen, er wird beschäftigt sein, und sie wird ihr mieses Gefühl verlieren. Portugal, das Meer, sie freut sich so. «Stulle? Sehen wir das Meer?»
«Sehen schon. Aber Zeit haben wir nicht viel. Und stell es dir nicht so schön vor. Die meiste Zeit sind wir auf der Autobahn.»
«Und wo schlafen wir?»
«Im Auto, in der Schlafkabine. Es ist kein Luxus, Ava.»
«Im Auto?» Ava kommt es doch wie Luxus vor, wie Abenteuer, mit Stulle nach Portugal. Was ihr noch besser gefällt, ist der Gedanke, von Danilo abzuhauen. Danilo könnte sich gar nicht vorstellen, dass sie so etwas tut. Er traut ihr kaum etwas zu, schon gar nicht, dass sie einfach so mit einem Lkw-Fahrer namens Stulle nach Portugal fährt anstatt mit ihm in den geplanten Zelturlaub. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.
Stulle lächelt sie an und holt zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Er öffnet sie mit einem Feuerzeug und sagt: «Prost Portugal!»
«Prost», sagt Ava und kippt sich das bittere, schäumende Bier in den Hals.
Ava packt ihre BHs in den Koffer und fragt sich, ob sie noch schön genug sind. Der rote ist neu und schön genug. Der Rest ist Schrott. Aber ein einziger BH reicht nicht für eine heiße Sommerreise nach Portugal. Die Sonne wird durch die Scheiben auf ihren Busen scheinen, und sie wird schwitzen. Der Schweiß wird sich in ihrem BH sammeln, sie wird kaum eine Möglichkeit haben, ihn zu waschen. Sie nimmt T-Shirts aus dem Kiefernschrank, der immer noch nach Ikea duftet, wie alles von Ikea, so neutral und so harmlos. Sie legt kurze Hosen und zwei Sommerkleider hinein, das Buch, das sie gerade liest, «Demian», sie liest es, weil Danilo es ihr gegeben hat, er sagte: «Lies dieses Buch», sie betrachtet es, wie es auf ihrem Kleid liegt, sie starrt auf den Deckel des Buches, in ihren weichen Baumwollstoff gebettet, weiß mit kleinen roten Blättern der Stoff, dann nimmt sie das Buch wieder aus dem Koffer und legt es auf ihr Bett, auf Danilos Seite. In ihrem Kleid ist nun ein rechteckiger Abdruck wie von einem Gewicht, das von ihm genommen wurde, aber sie hätte das Buch trotzdem gern gelesen, generell ist sie wohl interessiert an Dingen, die schwieriger sind als das, was das Krankenhausleben ihr an Gedanken abverlangt. Und ist auch froh über den Anspruch, der durch Danilo in ihren Alltag hereingetragen wird. Als stünde ihr, wie ein Spalt in ihrem Leben, noch diese Möglichkeit offen. Das tut sie. Sie kann lernen, wenn sie darauf Lust hat. Sie kann die schwierigsten Dinge erfahren und lernen, damit umzugehen.
Sie schließt den altrosa Koffer, den sie eines Tages von ihrer Schwester zum Geburtstag bekommen hatte, weil sie immer mit Beuteln verreist war. Die Farbe war ihr merkwürdig vorgekommen, aber Petra hatte gesagt: «Ava, den Koffer musste ich einfach für dich kaufen, er passt so gut zu dir.» So werden Dinge passend, wenn jemand Liebes der Meinung ist und Zusammenhänge herstellt, die dann plötzlich vorhanden sind. Oder hat der Zusammenhang zwischen einem rosa Koffer und Ava vorher schon bestanden? In Petras Augen haftet durch den Namen etwas Exklusives an ihrer Schwester, das sie vollkommen neidlos betrachtet. Der Vater hat Ava stets bevorzugt, als wäre Ava zu einem kleinen Teil eine längst gealterte, aber immer noch wunderschöne, prinzessinnenhafte Schauspielerin. Petra ist dem Vater genauso zugetan wie Ava, und umgedreht ist es ebenso, aber der Zauber liegt auf Ava und nicht auf Petra. Der Zauber ist auch ein klein wenig ein Fluch, denn Petra kann mit dem Vater sehr unkompliziert umgehen und seine Verschrobenheit herzlich knuffen und beschimpfen. Ava dagegen darf das nicht, denn dann ist der Vater traurig, und das will in der Familie keiner, als wäre der Vater ein
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