Eheroman (German Edition)
dann sagt er was, was er jeden Tag zwanzigmal schon gesagt hat.»
«Was denn?», fragt Ava.
«Zum Beispiel: ‹Detlef, Detlef, komm mal her, ich sag dir mal was: Die Männer, Detlef, keuchkeuch und hust, haben oft recht, aber die Frauen» – er hebt den Zeigefinger – «behalten recht. Husthustkeuch.›»
Ava kichert.
«So was. Und Zeug vom Krieg viel. Davon hat er zum Schluss immer geredet. Zum Schluss war er völlig im Krieg. Ich glaub, er hat auch geschossen. Er hat manchmal so komische Bewegungen gemacht, wie als ob er schnell schießen will. So – beng, beng, beng, Russen, ich knall euch alle ab.» Ava grinst. «Aber traurig war es auch. Er hatte manchmal echt Angst, und das ging mir bisschen an die Nerven. Er konnte nichts dafür, aber es ging mir echt an die Nerven.»
«Ja, das kann ich mir denken», sagt Ava und leckt in der Tiefe ihrer Eiswaffel und beißt die durchweichte Waffel ab, sie schmeckt pappig und nass und trotzdem gut. «Meine Großeltern», sagt sie, «sind noch so ganz fit. Die von meiner Mutter, von meinem Vater gab es nur eine Großmutter, die ist schon tot.»
Stulle nickt. «Deine eigenen Alten sind es irgendwann, die bei dir in der Küche sitzen, Ava, nicht die Großeltern, die Großeltern sind noch deren Angelegenheit wahrscheinlich, aber deine Alten sitzen irgendwann bei dir und sind so wie jetzt, nur noch viel schlimmer, alles Nervige, das sie jetzt haben, ist noch viel schlimmer, glaub es mir.»
«Das sagst du, weil dein Vater im Rollstuhl sitzt und behindert ist. Aber nicht überall ist es so. Manche Menschen können lange selbstbestimmt leben und werden nicht gleich senil. Und meine Eltern sind nett.»
«Na klar, das dachte ich mir doch.»
«Ja», sagt Ava trotzig und ist sich nicht so sicher.
«Da ist Telefon», sagt Stulle und deutet auf eine Zelle, «ruf deinen Freund an!»
Ava starrt auf die Telefonzelle. Sie sagt nichts mehr dazu. Immer sagt Stulle, sie soll ihren Freund anrufen, als wollte er sie provozieren, als wollte er etwas aus ihr herauslocken. Aber was? «Danilo ist nicht da», sagt sie.
«Er ist traurig und verlassen», sagt Stulle und lacht. «Er weint und riecht an deinen Schlüpfern.»
«Er ist an die Ostsee gefahren, mit seinen Freunden.»
«Er sieht sich Fotos an und betrinkt sich und wichst sich manchmal zwischendurch einen.»
«Du bist ekelhaft, richtig widerlich bist du.»
«Ja», sagt Stulle und steigt die Stufen zum Lkw hoch. Ava steigt hinterher und setzt sich stumm auf ihren Platz. Die Bilder, die Stulle gerade gemalt hat, werden lebendig. So ein Arsch, denkt sie, macht mir ein schlechtes Gewissen, dabei ist doch sie die Wütende, die Getretene, von Danilo Getretene, weil er das Arschloch ist und nicht sie. Oder?
Sie schweigen, das Radio bleibt still, und hinter Bordeaux macht Stulle einen Abstecher in die Landschaft, unvermittelt, fährt von der Autobahn runter, nimmt die erste Straße nach der Abfahrt, in ein Dorf hinein, durchfährt das Dorf, biegt mit dem leeren, klappernden Aufsetzer in einen Feldweg und hält dort. «Jetzt kannst du es tun», sagt er und streckt sich.
«Was?», fragt Ava.
«Na das», sagt Stulle und blickt an sich hinab, auf den metallenen Reißverschluss an seiner Jeans. «Du wolltest es doch gleich tun, aber jetzt willst du wohl nicht mehr. Na gut, dann nicht.»
Ava starrt ihn an. Jetzt, nach dem Streit und der Kälte in ihrem Mund von dem Eis, jetzt? Sie denkt immer noch an Danilo, der an ihren Schlüpfern riecht, der das aber ganz sicher nicht tut, sondern an der Ostsee ist. Wütend kriecht sie zu Stulle rüber und öffnet seinen Reißverschluss.
«Du willst das doch gar nicht», sagt Stulle, quietscht dabei aber schon ein bisschen.
Solche Sätze machen sie wütend und treiben sie an. Was sie will, das weiß sie selbst am besten. Sie will was Tolles machen für Stulle, damit er nicht mehr so böse auf sie ist. Es kommt ihr nämlich irgendwie so vor, als ob er recht hätte.
Stulle sitzt friedfertig und dankbar und weich wie ein Baby mit rosigen Wangen am Steuer und sagt gar nichts Böses mehr. Ava ist auch ein bisschen glücklich. Wer Gutes schafft, wird selber froh. Ein bisschen jedenfalls. Und so wie Stulle da jetzt sitzt, muss es ja Gutes gewesen sein.
«Ava, was meinst du, wenn wir uns heute mal, für eine Nacht, ein richtiges Bett leisten, in einem ollen Rastplatzhotel, was sagst du dazu?» Stulle fährt summend vor sich hin und wackelt ein bisschen mit seinem Kopf. «Was sagst du, Ava, was sagst du
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