Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
Vom Netzwerk:
entgegen. Hinter der Baustelle hält Stulle an einem Rasthof, um zu pinkeln. Ava holt sich eine Flasche Wasser von der Tankstelle und versagt sich ein Eis. Es kommt ihr so vor, als wenn das Vergnügen vorbei wäre, als wenn jedes Vergnügen vorbei wäre, und dennoch ist sie nicht unglücklich, sie ist angespannt und auf eine seltsame Weise erregt. Oben über ihnen ballt sich ein Gewitter zusammen, aber bevor es ganz dunkel wird, öffnet sich ein gelber Riss am dunklen Himmel, die Sonne taucht das graue Band der Autobahn in ein staubiges Flimmern, und das Donnern wird schwächer. Sie verlassen das Gewitter in eine andere Region hinein, sie tauchen in andere Büsche und andere Felder hinein, immer der Straße folgend und ihrem eigenen Plan, einer Lieferung portugiesischer Tomaten.
    Als sie das Niedersachsenschild am Rande der Autobahn sehen, sagt Ava erfreut «Niedersachsen», und Stulle blickt sie an und grinst und schüttelt den Kopf, weil ihm Niedersachsen nichts bedeutet, denkt sie, oder weil es dumm ist, solche Landesgrenzen zu bemerken, es bedeutet ihr eigentlich auch nichts oder höchstens eine Erinnerung an Schule, an Kindheit.

    Die Tomaten müssen nach Hamburg. Das dauert, bis die Tomaten abgeladen sind, bis sie weiterfahren und in Lüneburg sind. Ava verkrampft sich ein bisschen. Obwohl sie denkt, na und? Sie ist kein Verbrecher. Sie hat nur ihren Freund verlassen. Das kommt vor. Sie ist kein Verbrecher.
    «Ava, es war schön mit dir, aber jetzt ist es auch Mist. So was mach ich nicht mehr», sagt Stulle zum Abschied, und sie drückt ihn nicht, weil sie sieht, wie er seine Schultern hochzieht und müde aussieht und traurig. Sie hat Stulle gar nicht richtig als Freund gewollt. Er war nur ein Fluchtweg. Sie hat Stulle als Fluchtweg missbraucht. Sie muss über den Gedanken dennoch lächeln.
    Stulle lächelt jetzt auch. Er sagt: «Ehrlich, du bist Wahnsinn im Sex. Jetzt verpiss dich aber mal, sonst hau ich dir eine rein, und ich hau eigentlich keine Frauen.»
    Ava nickt und geht und sieht sich noch einmal um, aber Stulle ist schon weitergefahren, zu seiner Firma hin, wo er den Lkw abstellen muss. Ava geht mit ihrem rosa Koffer, den ihr ihre liebe Schwester geschenkt hat, die Straße entlang und sieht in jedem Grashalm im Beton, in jedem Taubenschiss auf den Autoscheiben ein Zeichen. Es ist bedeckt, die Sonne blitzt aber immer wieder scharf zwischen den Wolkenlücken hindurch. Es ist bedeckt und wird vielleicht regnen. Ein leichter Wind geht, das Wetter kann sich nicht entscheiden, Ava friert und schwitzt abwechselnd und wundert sich über die Reaktionen ihrer Haut. Was das Gute daran ist, denkt sie, das ist, wie sich alles so scharf und deutlich anfühlt, wie sie ihre Finger und Arme und ihre Beine spürt, wie ihr Leben so dicht an ihrem Körper dran ist und eine Bedeutung hat, im Moment, eine Wichtigkeit, eine Spannung, das ist das Gute daran. Das Leben, das gerade richtig da ist, als wäre es ein Film mit Ava Gardner, wo das Leben immer gerade richtig da ist und immer Dinge passieren, die wichtig und von Bedeutung und dramatisch sind. So geht Ava mit ihrem einzigartigen rosa Koffer auf die Tür ihres Hauses zu, die Stufen hinauf und schließt die nicht abgeschlossene Wohnungstür auf, was sie nicht besonders wundert, denn dass Danilo nicht da ist, würde nicht in den dramatischen Film passen.
    Danilo sitzt auf einem Stuhl und sieht aus, als hätte er die ganzen acht Tage hier gesessen und auf sie gewartet. Er blickt Ava an und sagt: «Die Muschifrau ist tot.» Und er sieht aus, als hätte er sie auf irgendeine Weise selbst, mit seinen eigenen Händen, umbringen können, um sich an Ava zu rächen.

    Die Muschifrau wird zwei Tage später, am Mittwochnachmittag, auf dem Zentralfriedhof in der Soltauer Straße gleich hinterm Krankenhaus begraben.
    Ava weiß das, weil sie an der Tür geklingelt hat, nachdem es über ihrem Kopf, über ihrem Bett rumpelte und scharrte. Sie erschrak, aber die Muschifrau war tot, und die Schritte und das Rumpeln waren andere Menschen. Sie hat geklingelt, weil sie wissen musste, wann und wo man die Muschifrau beerdigen würde. Sie hat geklingelt und war nervös, ein Mann öffnete die Tür, es war der Sohn, der Karsten, «der Nachtwächter», der bei der Bank arbeitete, sie sah es, weil sie die Fotos kannte, die von ihm auf dem Fernseher standen, auf einem Häkeldeckchen. Sie wusste vieles vom Karsten, dem Sohn von der Muschifrau, und sie wollte es nicht denken, aber sie musste denken,

Weitere Kostenlose Bücher