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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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mache auch Wolken. Bis nächste Woche, da kommt er von Stuttgart hoch, das schaffe ich noch, ich schneide gerade Schablonen, so Pappwolken.»
    «Schablonen? Vorhin hast du doch noch keine Farbe gehabt und nichts. Vorhin war doch alles noch so still bei dir!»
    «Ja. Aber ich habe mich berappelt. Stimmungshoch. Kennst du nicht?»
    Ava schüttelt stumm den Kopf. Natürlich kennt sie Stimmungshochs. Aber so?
    «Mir geht es gut. Mach dir mal nicht son Kopp, Ava. Jetzt ist doch alles gut. Ich bin in Betrieb, ich geb jetzt voll Gas. So ist das bei mir. Also, lieb von dir, dass du dir Sorgen machst.»

    Am Wochenende besuchen sie im braunen Ford Taunus, der Fadil gehört, sämtliche vorhandenen Großeltern der im Auto ganz friedlich schlafenden Babymerve. Sie beendet ihren Schlaf, als das Auto vor dem Haus von Danilos Mutter hält und alle aussteigen. Vor dem Haus wartet bereits, in Gummistiefeln wie eh und je, Danilos Mutter, Ivana Androsevich. Sie latscht vor dem Haus und der brüchigen Mauer auf und ab, als würde das das Warten verkürzen, und vielleicht tut es das ja. Als die Mutter herbeieilt, um das Tor zur schlammigen Hofeinfahrt zu öffnen, sieht Ava, dass Ivana Androsevich ganz und gar nicht wie eh und je aussieht. Im nasskalten Märzwind weht ein lila Haarschopf über ihrer fest um sie geschlungenen Strickjacke. Sie hat ihr früh ergrautes Haar gekürzt und in einer Farbe eingefärbt, die auf dunkles Haar vermutlich einen Schimmer von Aubergine zaubern soll, auf ihrem blassgrauen Haar zaubert es einen Schimmer von reinstem Lila. Die Sachen trägt sie noch wie immer, die großen Cord-Männerhosen, in die sie geblümte Blusen stopft, alles mit einem Ledergürtel zusammengezurrt. Darüber trug sie sonst eine Schürze. Von Schürze ist aber nichts zu sehen. Sie stellt die Gummistiefel draußen vor die Tür mit der verstaubten Gardine an der gesprungenen Scheibe und reißt Ava, keinen Widerspruch duldend, schnalzend das Kind aus den Armen. Auch das wie immer, aber es ist dennoch alles vollkommen anders. Die geblümte Bluse, die lila Haare, sogar die mit einer silbernen Blüte versehenen Hauspantoffeln, alles kommt Ava plötzlich nett vor. Ähnlich geht es ihr mit dem Haus. Das verrottete Haus ist warm geheizt, der Ofen glüht, verschrumpelte Äpfel lagern auf einem Blech auf dem Kleiderschrank, alles so nett, die ornamentale Tapete, der alte Kroatienkalender, den sie jedes Jahr aufs Neue benutzt, und der Geruch von Holz. Holz an der blumigen Tapete und Holz auf dem Wohnzimmertisch. Dann kommt der Mann die Treppe herunter, der für all das Geänderte verantwortlich ist.
    Er ist ein großer, alter Mann mit einem faltigen, braunen Schädel und weiß gelocktem Haar. Er trägt einen sehr langen weißen Pullover, der an den empfindlichen Stellen löcherig ist, und eine um seine Beine wehende, weiße Leinenhose. Wie ein weißes Engelein, wie ein weißes, altes Engelein. «Na schön», sagt er. «Eckehard Kress. Es freut mich.»
    Ava reicht ihm die Hand, und Danilo starrt interessiert auf die Usambaraveilchen am Fenster, als würde er ihn nicht sehen. Dann gibt es warmen Kuchen aus alten geschrumpelten Äpfeln mit viel Zucker und Zimt obendrüber. Danilos Mutter singt dem schreienden Kind etwas Kroatisches in einer klagenden Melodie vor, bis Ava es ihr wegnimmt und sich zum Stillen in ein Zimmerchen zurückzieht, das eine Art Nähzimmer darstellt. Auch hier stapeln sich jetzt zwischen einem kleinen Sofa und einer alten Nähmaschine die Holzplatten. Als Ava zurückkehrt, das für einige Zeit friedliche, Milch aufstoßende und frisch gewickelte Mervlein im Arm, läuft im Fernsehen ein Klavierkonzert, und Eckehard Kress erklärt dem starren Danilo am Esstisch die Grundlagen des Holzschnitzens. Danilo sieht nicht einmal hin. Er hat seine Fußspitzen gegen das Tischbein des runden, dunklen Tisches gestemmt und sich weggeschaltet, in eine hinter ihm liegende, bessere Zeit, als der alte Engel ihm noch nicht in die Familie pfuschte, so ahnt Ava. Danilos Mutter sitzt in einem lila-braun gemusterten Sessel vor dem Fernseher, farblich ausgezeichnet hineinpassend, und verfolgt mit einem Fläschchen Bier der Marke Beck’s in der Hand die Musik. In Kroatien hat sie Leute im Klavierspielen unterrichtet. In Hamburg hat sie immer noch viel Klavier gespielt, obwohl es ab und zu Ärger mit dem Mieter unter ihnen gab. Jetzt steht das Klavier im kühlen, feuchten Schlafzimmer und ist vermutlich vollkommen verzogen und verstimmt. Gespielt wird

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