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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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entschied, sie fand, John Lennon war ein guter Mensch und setzte sich für den Frieden ein, sie hatte sich im Moment der Betrunkenheit eine Vorstellung von ihrem kleinen John gemacht, wie einen Plan für sein Leben. Dann war ihr bewusst geworden, dass sie nicht einmal einen Plan für ihr eigenes Leben hatte. Keinen Plan für Merve, keinen Plan für John. Sie hatte den Namen mit einem Filzstift auf ein Blatt Papier geschrieben, «John Jäger, kein Plan». Jäger war nicht unbedingt so friedlich, doch gegen Jäger konnte sie vorerst nichts ausrichten. Als sie nüchtern war, ging sie mit dem Blatt Papier – «John Jäger, kein Plan» – und dem Vorsatz noch in den Knochen rasch zum Standesamt und ließ den Namen eintragen. John Jäger, Sohn von Merve Jäger. «Im Geheimen heißt er ‹John Jäger, kein Plan›. Das machen sie aber nicht», sagt Merve, «deshalb heißt er nur geheim ‹kein Plan›.»
    «John ist kein schlechter Name», findet Ava.
    John schläft im Gegensatz zu Babymerve die meiste Zeit und verlangt keine mütterliche Hand und keinen mütterlichen Arm. Er liegt im Kinderwagen, den Merve meist im Schlafzimmer abstellt, und schläft. Manchmal liegt er allerdings in seinem Wagenbett, betrachtet die Decke und sagt auch dazu nichts. Genau genommen lässt es sich von der verrauchten Küche aus gar nicht unterscheiden, ob John schläft oder wach ist.
    «Merve, du solltest nicht so viel rauchen. Die ganze Wohnung ist verqualmt.»
    Merve drückt ihre Zigarette aus. «Scheiße, Mann, weiß ich doch!»
    «Warum machst du es dann?»
    «Mir fällt sonst nichts ein.»
    «Dir fällt nichts anderes ein, als zu rauchen?»
    «Was denn sonst? Soll ich ein Buch lesen? Soll ich vielleicht ein Buch über Babyerziehung lesen?»
    «Willst du nicht mal nach John gucken?»
    «Nein. Warum?»
    «Vielleicht … Ich weiß nicht.» Ava möchte nicht sagen, dass John sich vielleicht einsam fühlt oder Hunger hat oder vielleicht eine neue Windel braucht. Sie möchte Merve nicht kränken, denn Merve ist gekränkt, wenn man Kritik an ihrer Mütterlichkeit übt. Ava aber wird nervös, weil Merve so gar nicht nach dem Kind sieht. Sie scheint überhaupt keinen Drang zu verspüren. Vielleicht ist Ava aber einfach nur selbst übergeschnappt und hysterisch, wie Danilo gesagt hat, weil sie ihr eigenes Kind so selten loswird. Sie ist jetzt schon, nach einer Stunde Trennung, unruhig und will nach Haus. Danilo macht das auch nicht gern, die Windel wechseln oder die schreiende Merve durch die Gegend tragen. Da wird er aggressiv von und schlecht gelaunt, und er sagt immer, mit dem Kind stimme was nicht, ob Ava nicht mit dem Kind mal zum Arzt gehen könne, oder besser, den Arzt wechseln, denn es müsse doch was nicht stimmen mit dem Kind.
    Hier, bei Merve in der kalten Küche, in dem stillen Qualm, mit dem gekippten Fenster, hier ist es wie in einer Ruhekapsel. Alles geschieht leise und langsam und ohne Druck. Nur verursacht diese Stille Ava ein Ziehen in der Magengegend, denn es ist fast, als gäbe es hier kein Kind. Und das ist noch beunruhigender als andauerndes Geschrei, überlegt sie sich.
    Als sie geht, fragt sie Merve, ob sie den kleinen John noch einmal sehen darf.
    «Willst du nachschauen, ob er noch lebt?», sagt Merve und lacht.
    Ava lacht auch, aber der Gedanke ist so weit von der Wahrheit nicht entfernt.

    Am Abend ruft sie bei Merve an und sagt: «Ich mache mir Sorgen, ist alles okay bei dir?»
    «Alles okay», sagt Merve. «Der Assi hat sich gemeldet, der ‹Singapore man›, er is wieder hier. Und macht Holiday bei den Daddys und Mummys und will mich besuchen kommen. Ich hab ihm gesagt, er soll wegbleiben und mich mal kreuzweise. Aber er sagt, er kommt vorbei, als hätte ich nichts gesagt, als wenn ich gegen eine Wand rede. Und jetzt kommt er, und was wird geschehen? Er wird Johnny sehen, seinen Sohn, und was wird dann geschehen, Ava?»
    «Aber. Aber. Willst du das denn?», fragt Ava. Die neue euphorische Merve ist ihr vollkommen fremd.
    «Spinnst du? Das ist doch sein Sohn. Und wenn er kommt, und wenn er den sieht, dann wird er doch was empfinden, das kann ihm doch nicht egal sein, er ist doch eigentlich gar kein schlechter Mensch, Ava, nur ein bisschen viel Drive in den Beenen, zappelig und ADS, glaube ich, hat der. Aber ein Kind, ein eigenes Kind, da wird er nachdenken. Ich habe aufgeräumt, und ich dachte, ich streiche das Schlafzimmer an, ich hab schon blaue Farbe eingekauft, für Johnny wird das blau wie der Himmel, ich

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