Eheroman (German Edition)
geöffnet hält, weil seine Nase ewig verstopft ist, immer links und rechts auf seine Backen, mit voller Kraft. ER ist es, der trotzdem schläft, selbst wenn sein Kind schreit, es macht IHM überhaupt nichts aus.
Beate redet am Telefon von Sex, Ava läuft mit Merve durch die verdreckte Wohnung, den Hörer an das Ohr gepresst, das Baby schuckelnd mit dem linken Arm gegen ihren Körper gedrückt, es schreit nicht, noch nicht, es meckert nur so rum.
«Sexuell geht mir der Mann ein bisschen auf die Nerven», sagt Beate.
«Wieso?», fragt Ava und ist sehr froh über so ein Thema.
«Er will immer, dass ich Negligés anziehe, Strapse, High Heels, es ist ja witzig, manchmal schon, aber es nervt auch langsam. Warum kann er mich nicht einfach mal nackig bumsen?»
Ava lacht. Das Kind grummelt lauter, während es auf der Hüfte geschuckelt wird. «Lässt du die Sachen dabei an?», fragt Ava.
«Ja. Ich soll sie anlassen.»
«Und den Schlüpfer?»
«Schlüpfer? Man, Ava, ich hab doch keine Schlüpfer an, bin ich siebzig? Ich trag ’n String. Den schiebst du einfach so beiseite.»
«Ach so.» Merve geht in den Schreibetrieb über, und Avas Rücken schmerzt, ganz unten, als hätte jemand eine Nadel hineingetrieben.
«Mach das Kind!», sagt Beate, «ich sag tschüs.»
Ava macht das Kind. Sie weiß nicht, was hilft, aber irgendwas macht sie, rumrennen, schaukeln, stillen, wickeln, Bäuerchen, Spucke abwischen. Sie denkt dabei an Strapse und Strings und High Heels. Alle um sie herum haben gerade ständig Sex, so kommt es ihr vor, alle haben gerade immer mehr säuischen, schmatzenden Sex, selbst der amerikanische Präsident hat sich von seiner Praktikantin, einem schwarzhaarigen Luder mit herzförmigen Lippen und dicken Brüsten, zum Oralverkehr hinreißen lassen. Und sie, Ava? Sie hatte das letzte Mal Sex vor einem Jahr, so ungefähr.
Wenn sie sich im Spiegel sieht, vergeht ihr der Sex, jedenfalls wenn das Deckenlicht angeschaltet ist, und das muss schon sein, wenn man ehrlich mit sich sein will. Ihr Bauch hängt immer noch wellig an ihr herum, die größte Enttäuschung, das mit dem Bauch. Sie hatte gedacht, ihre alten Sachen wieder anziehen zu können. Aber irgendwie sind ihre Sachen immer noch zu eng. Obwohl das Kind raus ist aus dem Bauch. Der Bauch an sich ist aber nicht wie vorher. Das dauert noch, hat ihr die Annemarie, die Hebamme, gesagt, die zur Nachsorge kommt. Annemarie hat relativ viel Verständnis für die Schreiprobleme mit Merve, aber weniger für die mit Avas Wabbelbauch. Die Annemarie ist selbst eher robust gebaut. Für sie ist Avas Bauch vollkommen in Ordnung, sie wäre vermutlich froh über Avas Bauch. So gesehen kann Ava es auch verstehen, aber sie ist nun mal in ihrer eigenen Perspektive ziemlich festgenagelt.
Danilo schaut nicht mehr so gerne hin, wenn Ava sich auszieht, obwohl sie dann das Deckenlicht immer schon ausgeschaltet hat. Er legt im Bett auch nicht seine Hand auf ihren Bauch, so wie früher, als er seine Hand überall auf sie legte und sie streichelte und nachforschte, ob sie sich immer noch so toll anfühlt, wie sie sich tags zuvor angefühlt hat. Das ist seit der Schwangerschaft irgendwie verlorengegangen. Der ausgeleierte Körper gehört jetzt wieder vollkommen ihr. Und Merve. Wenn Danilo noch an ihr herumstreifen und sich ab und zu verirren würde, dann wüsste er, wie es um sie bestellt ist, aber er weiß es wohl auch so. Er will es nicht auch noch erfahren müssen. Er verkriecht sich lieber in der Dachkammer im Staub bei seinem Vater und strebt nach vorn. Sein Gehirn wird immer komplizierter, seine Gedanken immer schlauer, alles eilt von ihr weg, irgendwann wird er gehen, glaubt Ava. Und dann?
Sie schüttelt den Kopf. Danilo wird nicht gehen, obwohl es vielleicht alles auf eine schmerzvolle Art ordnen würde.
Merve sitzt rauchend in ihrer kleinen weißen Plastikküche, und der Rauch füllt die Stille. Der Aschenbecher mit dem flügelschlagenden Porzellanvögelchen am Rand ist bergvoll. Das Vögelchen sieht kaum hinter dem stiebenden Ascheberg hervor. Jede Bewegung lässt winzige weiße Fetzen durch die Luft taumeln, die sich langsam auf dem Tisch, dem Boden und Avas Kleidung niederlassen. Der Rauch ist ein Grund, warum Ava möglichst ohne Babymerve zu Merve kommt. Der Rauch wird hier selten abgestellt. Er gehört zu Merve und ihrem Leben wie die strähnigen roten Haare und die Wut.
Merves Sohn heißt nun John, wie John Lennon. Merve war betrunken, als sie sich für den Namen
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