Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
geschlagen hatte, nicht sie. Der Hauptmann hatte inzwischen Konrad Hus gefesselt und geknebelt und zog ihn in Richtung Tür. »Kommt, Fräulein von Ecksten. Wir sind hier fertig.« Und schon ging er hinaus.
Ungläubig schaute sie abwechselnd auf Lyse und den Hauptmann, der bereits die Treppe hinabstieg, ohne sich um die weinende Frau zu kümmern.
»Aber wir können doch nicht … Jetzt … Wir müssen …«
»Lass uns in Ruhe! Du Teufel!«, schrie Lyse.
Agnes prallte schockiert zurück und stolperte zur Tür hinaus. Ihr war, als würde sie jeden Augenblick ohnmächtig, alles um sie herum drehte sich, schwankte. Ihre Hände, ihre Knie zitterten. Sie hatte die wütende Stimme der Frau noch immer im Ohr. War es nur Einbildung oder schrie sie weiter ihren Zorn hinter ihr her? Agnes wusste es nicht. Sie musste so schnell wie möglich von hier fort, um ihre Gedanken zu ordnen.
Beim Bader
Missmutig schlenderte Ludolf an den Scharren, den Steinbänken der Fleischer, entlang. Er war wütend und enttäuscht. Und das trübe Wetter verbesserte seine Stimmung auch nicht gerade. Am liebsten hätte er sofort seine Sachen gepackt und wäre wieder zurück nach Hause, nach Möllenbeck, gegangen. Bloß weg aus dieser Stadt, weg von der launischen Agnes und dem dümmlichen Hauptmann. Warum war sie dem Soldaten nachgelaufen, anstatt mit ihm, Ludolf, zusammenzuarbeiten? Nur weil er nicht glaubte, dass der Händler ermordet worden war? Weil er ihr vor den anderen eine Schwäche in ihrer Beweiskette vorgehalten hatte? Wenn sie noch nicht einmal etwas – berechtigte – Kritik vertragen konnte, sollte sie ihm gestohlen bleiben!
Der junge Mann stand nun am Rathaus. Rechter Hand ging die Treppe zur Oberstadt. Dort oben lebte Susanna Kolraven, die Tochter des Baders. Die süße Susanna, die er beim letzten Mal nur einmal gesehen, die ihn aber sofort fasziniert hatte. Nicht nur wegen ihrer engelsgleichen Schönheit, sondern auch wegen … Was war es eigentlich gewesen? Sie hatten sich nur angeschaut und sich sofort verstanden. Ludolf konnte es nicht erklären.
Er stand nachdenklich da, als ein heftiger Windstoß den feinen Regen über den Marktplatz wehte und Ludolf aus seinen Gedanken riss. Er stürmte die Treppe zur Kirche St. Martini hoch. Oben angekommen schaute er sich nur kurz um und wusste sofort, in welche Richtung er gehen musste. Das vierte Haus links. Hoffentlich wohnte sie noch da.
Ludolf trat durch die geöffnete Tür ins Haus. Er erinnerte sich nur zu gut. Wieder stand er in dem Raum, der so herrlich nach aromatischen Kräutern und Essenzen roch. Die Regale voller Gläser, Schüsseln und Tontöpfen mit Unmengen von Pulvern und getrockneten Pflanzen. Die beiden Tische mit Destillierkolben, gefüllten Leinenbeuteln und Mörsern in unterschiedlichen Größen. Dazwischen eine kleine Waage zum genauen Zusammenstellen der Mischungen. Sofort fühlte er sich heimisch.
Ludolf hatte bei seinen Studien, die er dem Wohlstand seiner Familie und der Vermittlung des Bischofs Gerhard von Hildesheim 4 , dem Bruder von Bischof Otto, verdankte, so manche Stunde in Laboratorien verbracht. Diese Laboratorien erinnerten ihn sehr an diesen Raum – mit dem einen Unterschied, dass es in den Laboratorien oftmals übel nach Rauch und giftigen Gasen roch, während es hier so angenehm duftete.
»Einen gesegneten Tag wünsche ich Euch. Was kann ich für Euch tun, werter Herr?« Ludolf schreckte auf. Er hatte den Mann, der hinter einem Regal hervorgekommen war, gar nicht bemerkt. Er war etwa fünfzig Jahre alt, mit vollem grauen Haar und einem glatt rasierten Gesicht. Über dem Leinenhemd trug er eine kurze Weste mit kunstvoll geschnitzten Holzknöpfen, dazu einfache, graue Hosen.
Ludolf erwiderte den Gruß und fragte: »Seid Ihr der Bader Kolraven?«
»Ja, so ist es.«
»Ich benötige Eure Hilfe.«
»Aber gern. Was darf es sein? Um welches Leiden handelt es sich?«
Ludolf lächelte. »Nein, nein. Keine Krankheit.« Er erklärte kurz den Auftrag, den er vom Rat erhalten hatte, und fragte nach Kolravens Erkenntnissen zum Tod des Händlers.
»Ich ließ den Toten abnehmen und hab ihn dann untersucht«, antwortete Kolraven.
»Oh, das ist gut! Gab es etwas Auffälliges?«
»Nur die Male von der Schlinge am Hals.«
»Wurden damit vielleicht Würgemale eines Mörders verdeckt?«
Der Bader überlegte einen Augenblick. »Tja. Möglich wäre es. Darauf habe ich natürlich nicht geachtet. Andererseits, wenn man jemanden erwürgt, sei es von hinten
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