Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
konnten, wenn es mit dem Stadtrat Probleme gab. Noch eine knappe Tagesreise weiter erreichte man Nienburg. Dorthin sollte Susanna morgen reisen. Für wie lange? Einen Monat? Zwei? Oder sogar drei? Beide hingen den gleichen, betrüblichen Gedanken nach.
»Was ist Schäfermann sonst für ein Mensch?«, wollte Ludolf schließlich wissen. Er musste schnell auf andere Gedanken kommen.
Susanna atmete tief durch. »Er ist klug, erfolgreich. Er hat ein gutes Gespür für Geschäfte. Aber andere Menschen interessieren ihn nur dann, wenn er sie für sich einspannen oder sie ausnutzen kann. Er hat mich nie wirklich geachtet. Meine Bedürfnisse, meine Gefühle. Ich möchte nicht nur wegen meines Aussehens geliebt werden.«
So ähnlich hatte Ludolf den Händler nach seinem arroganten Auftritt im Rathaus auch eingeschätzt. »Ist er reich?«
»Oh, ja. Jetzt jedenfalls. Früher waren die Schäfermanns nur kleine Händler. Aber nach der schrecklichen Judenverfolgung, die nach dem Schwarzen Tod ausbrach 20 , haben sie das Handelsgeschäft eines Moses Rosenbaum übernommen. Durch kluges und auch rücksichtsloses Vorgehen haben sie ihr Vermögen beträchtlich vergrößert. Röttger ist nun einer der reichsten Händler. Vielleicht sogar der reichste. Aber das war für mich immer nebensächlich. Ich heirate genauso einen einfachen Mann, falls er mich von ganzem Herzen liebt.«
Dabei drehte sie sich Ludolf zu und schaute ihm tief in die Augen. Ihr berückender Augenaufschlag und diese grünen Augen faszinierten ihn immer wieder. Seine Knie begannen zu zittern, sein Magen verkrampfte sich. Er musste einen selten dämlichen Anblick geboten haben, denn Susanna fing an zu kichern.
»Wir sollten uns auf den Rückweg machen, sonst ist es nachher zu dunkel.«
Leichtfüßig ging sie zurück zum Stadttor. Ludolf brauchte noch einen Augenblick, bis er wieder richtig denken und sich in Bewegung setzen konnte. Dann eilte er ihr hinterher.
Sie schlenderten durch die Stadt. Beim Wesertor gingen sie jetzt nach links. Im Bogen ging es südlich um die Domfreiheit herum. Man konnte zwar die Mauer nicht erkennen, die den Herrschaftsbereich des Bischofs von dem der Stadt trennte, aber irgendwo hinter den Häusern versteckte sie sich. Nur wenn man in einige der engen Gänge zwischen den Gebäuden schaute, sah man sie. Aber diese Einfassung hatte eher symbolische Bedeutung, als dass sie einen Schutz gegen den Rest der Stadt darstellte. Zu dieser Stunde waren nur noch wenige Menschen unterwegs, die nach Hause oder in die nächste Schänke wollten. Vom Dom her erklangen neun Schläge der Turmuhr.
Ludolf und Susanna kamen wieder zum Marktplatz, diesmal aber zu dem dem Rathaus gegenüberliegenden Ende. Sie hielten sich links, schlenderten durch einige Gassen, die Ludolf noch nicht kannte, und kamen schließlich in die Kuhtorstraße.
Susanna fragte Ludolf nach seinem Auftrag. Er erzählte ein wenig von den Nachforschungen, den Widersprüchen, erwähnte aber mit Bedacht Agnes nicht. Das sollte kein Thema für diesen Abend sein.
Ein Betrunkener
Agnes stand am Fenster im ersten Stock des Hauses von Wolframs Vetter Klaudius. Sie war außer Atem, und ihr war ganz heiß, sie musste dringend einen Moment ausruhen. Im Innenhof wurde getanzt. Hier oben gab es noch etwas zu essen, denn mittlerweile hatte sie schon wieder Hunger bekommen.
So viel gesungen und getanzt wie heute Abend hatte sie schon lange nicht mehr. Einige der Männer waren inzwischen richtig nett zu ihr geworden. Sie forderten sie immer wieder zum Tanzen auf und überschütteten sie mit Komplimenten. Zuerst war sie rot angelaufen und ganz verlegen gewesen, aber nun gefiel es ihr immer besser. Es war berauschend, sich begehrt zu fühlen. Auch Wolfram war sehr aufmerksam und ausgesprochen nett zu ihr. Er hatte nichts mehr von dem groben Soldaten an sich. Nur die Frauen schauten weiterhin böse zu ihr hinüber und tuschelten ständig hinter vorgehaltener Hand. Aber das war ihr mittlerweile völlig egal.
Agnes lehnte sich aus dem Fenster. Vor dem Haus auf der Straße waren einige Fackeln aufgestellt. Dort saßen noch andere Gäste – Freunde, Verwandte und Nachbarn – und vergnügten sich. Es wurde munter gesungen und getrunken.
Ein Paar kam vorbei. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Eine hübsche Frau, sehr schlank. Sie schaute sich das Paar da unten genauer an. Fast meinte sie, Ludolf zu erkennen. Aber woher sollte er dieses Blondchen kennen? Das flackernde Feuer der Fackeln musste
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