Ehre sei dem Vater (German Edition)
zusätzlich Nachdruck verleihen. Als
er endlich zu weinen begann, verfrachtete sie den zappelnden Jungen lieblos in
sein Bett. Ihre dunkelblonden Haare, die normalerweise gepflegt ihr Kinn
umspielten, hingen ihr wirr ins Gesicht. Nachdem sie den Schlüssel des
Kinderzimmers herumgedreht hatte, ging sie schweigend an Eva vorbei zurück ins Büro.
Sie räumte hektisch und sichtlich verstört die von David geöffnete Lade ein und
versetzte sich anschließend am Schreibtisch wieder in eine Art Trance. Auf die
verzweifelten Schreie ihres Sohnes reagierte sie nicht. Eva verfolgte die Szene
durch einen Schleier von Tränen, unfähig sich von der Stelle zu rühren, unfähig
ihrer Mutter entgegenzutreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich geschworen,
sich selbst um den Kleinen zu kümmern. Nie wieder sollte er der Willkür seiner total durchgeknallten Mutter ausgesetzt sein. Sie würde
immer für ihn da sein.
„Sollte ich jemals die Stärke aufbringen,
meiner Mutter ihre Unzulänglichkeiten zu verzeihen, so werde ich doch niemals dazu
im Stande sein, solche Szenen aus meinem Gedächtnis zu verbannen“, dachte Eva
verächtlich, als sie, wieder einigermaßen gefasst, die Wäsche in die
Waschmaschine schob.
Julian hatte am Telefon auf sie eingeredet, dass sie endlich wieder mehr auf
sich selbst achten sollte, dabei konnte er gar nicht wissen, wie Recht er damit
hatte. Sie war sich der Notwendigkeit, dringend irgendetwas in ihrem Leben
ändern zu müssen, durchaus bewusst. Sie hatte nur nicht die leiseste Ahnung, wo
sie beginnen sollte. Die positive Grundeinstellung zum Leben hatte sie in
letzter Zeit völlig abgelegt, dabei wusste sie heute nicht einmal mehr warum.
Ihr einziger Lichtblick war Martin…..
„Marie! Haaallo , Marie
mein Schatz, wo bist du denn?“ Das konnte nur ihre Großmutter sein. Marie erhob
sich genervt aus ihrem zerknüllten Bett. „Mensch, was will sie denn nun schon
wieder, mitten in der Nacht?“, dachte sie und warf einen kurzen, verschlafenen Blick
auf die Uhr. Es war knapp halb Sieben und sie war bereits vor mehr als einer
Stunde eingepennt. Leichte Übelkeit kroch in ihr hoch. Erst jetzt nahm sie den
beißenden Geruch von abgestandenem Rauch in ihrer Kleidung wahr. Als sie vom
Cafe nach Hause gekommen war, hatte sie keine große Lust verspürt, sich zu
waschen oder frische Kleidung anzuziehen. Der schale Geschmack in ihrem Mund,
erinnerte sie an die geschnorrten Marlboro und an das Cola-Rot zuviel vom Nachmittag. Das Kaffeehaus, in dem sie ihre Freizeit
zumeist verbrachte, verdiente seinen Namen nicht wirklich. Sicher, es gab dort
auch das koffeinhaltige Getränk, nach dem es sich benannte, trotzdem war es viel
eher ein Pub. In diesem Schuppen traf sie sich fast täglich mit ihrer Freundin
Miriam und einigen Jungs aus ihrer Schule. Die Burschen waren zwar um einiges
älter als sie, aber das machte Marie nicht groß was aus. Im Gegenteil, die
Bubis aus ihrer Klasse waren ohnehin nicht ihre Kragenweite. Miriam und Marie
standen viel eher auf coole Typen, die, wie sie selbst, in schrägen, dunklen
Klamotten abhängten und sich nicht viel aus Traditionen und ähnlichem Scheiß machten.
Es war ihnen egal, dass die meisten Leute dachten, ihre Clique hätte
irgendetwas mit Satanismus zu tun. Viel wichtiger war ihnen, nicht in eine
Schublade mit all den Langweilern um sie herum gepresst zu werden. Die Spießer,
die immer darauf bedacht waren, allen anderen Leuten zu gefallen, nervten nur.
„Liebes, komm bitte herunter, ich brauche
dich kurz!“, tönte es zum wiederholten Male aus dem Stiegenhaus und holte Marie augenblicklich in die Gegenwart zurück. Langsam schlurfte sie
aus dem Zimmer und ging nach unten.
„Da bist du ja, mein Schatz!“ Die liebevolle
Stimme ihrer Großmutter verwunderte sie jeden Tag wieder aufs Neue, vor allem,
da sie wusste, wie sie im Moment auf ihre Oma wirken musste. Mal abgesehen von
ihrem Gestank war die schwarze Schminke um ihre Augen mit Sicherheit verwischt.
Sie hatte nach ihrem verspäteten Mittagsschläfchen noch keinen Blick in den Spiegel gewagt. Ein eigenartiges Gefühl von Scham
überfiel sie beim flüchtigen Blick über ihren leicht übergewichtigen Körper.
Die weite schwarze Bluse mit Schnürungen an den Ärmeln und am Dekolletee war
zerknittert und bot mit schlampig herabhängenden Bändern einen erbärmlichen
Anblick. Ihre schlabbernde dunkle Lieblingsjeans , die
sie nun schon seit Ewigkeiten trug, hätte vermutlich gerne ein Reinigungsgesuch
an die
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