Ehre sei dem Vater (German Edition)
ein, als Verena
zur Tür hereinkam.
Sie schien sich wieder einigermaßen gesammelt
zu haben und wollte wohl etwas Smalltalk betreiben. „Mensch, muss die hier wieder hereinschneien? Gerade
war’s so richtig schön!“, dachte Marie, als sie sich genervt von ihrer Mutter
abwandte.
„Hallo Verena! Ich bin ganz happy, dein
Töchterchen ist ein Goldschatz. Mit ihrer Hilfe habe ich soeben eine
Meisterleistung vollbracht. Na, was sagst du?“ Eveline trat zur Seite um Verena
einen unverstellten Blick auf ihr Ölbild zu ermöglichen.
„Sieht ganz gut aus“, sagte diese etwas
abwesend. „Aber was mich im Moment noch viel mehr interessiert, ist, ob unsere
große Kunststudentin auch die
Hausaufgaben für heute erledigt hat.“ Maries Züge verfinsterten sich nun noch
mehr. „Sie ist nur gekommen, um mir die gute Laune zu vermiesen. Hätte ich mir
gleich denken können, als ich sie nach Hause kommen sah. Diese Miene ließ
nichts Gutes erahnen.“ - „War doch klar, dass es wieder einmal mich erwischen
würde!“, posaunte Marie lautstark in den Raum, bevor sie sich davonmachte, ohne
ihre Mutter eines Blickes zu würdigen.
Verena und Eveline sahen ihr wortlos hinterher,
bis die Tür schallend ins Schloss fiel.
„Das hast du ja wieder einmal toll hingekriegt!“ Eveline sah ihre Tochter
vorwurfsvoll von der Seite an.
„Wie soll ich jemals an sie herankommen, wenn
du immer alles perfekt machst. Du spielst immer die tolle Oma und ich darf die
unangenehmen Dinge erledigen. Warum fällt dir eigentlich niemals ein, dass
meine Tochter auch noch anderen Verpflichtungen nachgehen sollte, außer mit dir
hier herum zu klecksen!“ Verena war am Boden zerstört. Heute war wohl nicht ihr
Tag. Erst die Geschichte mit Alex und nun das. Dabei wusste ihre Mutter ganz
genau, dass sie erst in der letzten Woche wieder in die Schule zitiert worden
war, weil Marie anscheinend keine Lust hatte, ihre Aufgaben zu machen oder zu
lernen. Sie drohte nun bereits in drei Fächern durchzufallen und Verena sah
langsam keine Chance mehr, ihr aus dem Schlamassel herauszuhelfen.
„Ich versuche wenigstens, sie ein wenig
aufzumuntern, das ist zehnmal mehr wert, als deine ständige Nörgelei. Sie ist
nämlich ein ganz tolles Mädchen, musst du wissen. Und mit Sicherheit würde sie
ihren Weg machen, wenn du sie nur endlich einmal ihre Persönlichkeit ausleben
lassen würdest!“, verteidigte sich Eveline eingeschnappt.
Nun war es Verena, die die Tür lautstark
hinter sich zuknallte. Tränen des Zorns bahnten sich den Weg über ihre
erhitzten Wangen. „Klar, immer bin allein ich an allem Schuld ! Meine Frau Mama ist ja ach so superschlau
und macht selbst niemals Fehler. Wo war sie denn, als ich sie damals brauchte?
Als ich viel für ihr Verständnis und einen Bruchteil der Zeit gegeben hätte,
die nun in aller Hülle und Fülle für Marie da zu sein schien. Als ich mit 13
Jahren aus Kummer wegen der Scheidung meiner Eltern kaum eine Nacht
durchschlafen konnte. Damals waren ihre Vernissagen, ihre geschäftlichen
Termine und selbst ihre abendlichen Verabredungen mit viel zu jungen Männern um
einiges wichtiger als ich. Und jetzt tut sie so, als ob sie unfehlbar wäre. Das
schlimmste dabei ist, dass sie wirklich alles mit Leichtigkeit zu machen
scheint. Der berufliche Leistungszwang und der Druck, sich in jeder Hinsicht
beweisen zu müssen, sei längst von ihr abgefallen, behauptet sie. Ich kann kaum
mehr ertragen, wie sie unbeschwert Zugang zu meiner Tochter findet, während Marie
sich wie ein tonnenschwerer Tresor vor mir verschließt.“ Verena steuerte mit
kurzen, schnellen Schritten in Richtung Wohnzimmer. Sie wusste, hier würde sie
vorläufig allein sein. Falls ihre Tochter nicht längst in der Küche
verschwunden war, um sich wieder unmäßig mit Essbarem voll zu stopfen, hatte
sie sicher bereits die Türe ihres verdunkelten Schlafzimmers hinter sich
verschlossen. Verena war klar, dass Marie aus Trotz bestimmt keinen einzigen
Finger mehr für die Schule rühren würde, geschweige denn, dass sie sich heute
noch einmal vor ihr blicken lassen würde. „Sind wir wirklich schon so weit,“,
dachte sie verzweifelt, „dass es ohne fremde Hilfe keinen Weg für ein Miteinander
mehr geben kann?“ Sie konnte und wollte das nicht glauben. „Andere schaffen das
doch auch. Ich liebe meine Tochter, auch wenn sie das nicht wahrhaben will!“
Kiddy streifte liebevoll um Verenas Beine.
Als sie sich erschöpft in die rote Ledercouch fallen ließ, sprang die
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