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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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lang schwanken, doch dann trat Navideh kräftig in die Pedalen.
    «Ich heiße übrigens Jorges», stellte sich der Unbekannte hinter ihr vor.
    «Navideh.»
    «Ich wusste gar nicht, dass du in dieser Straße wohnst.»
    «Manchmal habe ich auch eher das Gefühl, im Präsidium zu wohnen», antwortete sie mürrisch.
    Der Mann hinter ihr schwieg.
    Sie fuhren alle typischen Treffpunkte von Drogenabhängigen im Viertel ab, aber den Fahrraddieb fanden sie nicht. Navideh liebte das Viertel mit den engen Gassen, den vielen kleinen Boutiquen und Cafés. Doch es zog eben nicht nur Künstler und Intellektuelle an, sondern auch viele Drogenabhängige und Dealer. Navideh kannte in Bremen niemanden, dem nicht mindestens einmal das Rad gestohlen worden war. Ihre Kollegen hatten schon vor längerer Zeit eine eigene Ermittlungsgruppe eingerichtet, aber dennoch verschwanden jedes Jahr fast 9000   Fahrräder.
    «Wir wäre es mit einem Kaffee?», fragte Jorges, als sie ein Straßencafé passierten, an dem einige der Tische noch von der Nachmittagssonne beschienen wurden.
    Navideh sah auf ihre Uhr und zögerte.
    «Oder musst du heute noch Verbrecher jagen?», setzte Jorges lachend hinterher.
    «Nein, sieht heute nicht danach aus.»
    Vergnügt sprang Jorges vom Gepäckträger und setzte sich an einen Tisch, während Navideh ihr Rad abschloss.
    Nachdem beide bestellt hatten, sah er Navideh gespannt an. «Ich überlege die ganze Zeit, in welcher Abteilung du wohl arbeiten könntest   …» Jorges tat so, als würde er in tiefes Grübeln verfallen. «Es gibt nur eins: Du bist beim Staatsschutz und ermittelst undercover in der Bremer Islamistenszene.»
    «Klingt spannend», räumte Navideh ein. «Aber ich muss dich enttäuschen. Ich arbeite bei der Mordkommission.»
    «Und in deiner Freizeit fängst du zur Entspannung Fahrraddiebe», sagte Jorges spöttisch. Sie lachten beide.
    Navideh erfuhr, dass der Jongleur ähnlich wie sie auch nur selten freihatte und neben seiner Arbeit als Krankenpfleger mehrmals in der Woche nachts Taxi fuhr.
    «Hast du keine Angst, überfallen zu werden?», fragte sie.
    Jorges zuckte gleichmütig mit den Schultern. «Ich habe fast ein Jahr lang mehr oder weniger auf der Straße gelebt, unter anderem in Rumänien. Seitdem habe ich eine Antenne für Gefahr entwickelt. Und was ist mit dir? Hast du keine Angst bei deinem Job?»
    Er sah sie so offen an, dass sich Navideh um eine ehrliche Antwort bemühte. Aufmerksam hörte Jorges zu. Mitten im Satz fiel Navidehs Blick dann zufällig auf seine Uhr. «Oh verdammt, schon so spät.» Sie raffte ihre Tasche, das Handy und das Halstuch zusammen und legte einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch.
    «Der Kaffee geht auf meine Rechnung. Ich muss dringend ins Präsidium. Und danke, dass du das Rad zurückgeholt hast!»
    Als sie losfuhr, drehte sie sich noch einmal kurz zu dem Tisch um. Jorges hob zum Abschied die Hand.
    Seitdem hatten sie sich manchmal zufällig beim Einkaufen getroffen. Und jedes Mal kamen sie sofort miteinander ins Gespräch. Beim letzten Treffen war Navideh einem spontanen Impuls gefolgt und hatte Jorges zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Doch aus dieser Essensverabredung würde nun nichts werden. Navideh spürte, dass es auch eine Seite in ihr gab, die erleichtert war.
    Mit Jorges verging die Zeit stets wie im Flug, sie lachten viel und hatten, trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege, gemeinsame Interessen. Aber bis vor einigen Monaten hatte Navideh noch eine Frau geliebt. Was wollte sie jetzt mit einem Mann? Zumal mit einem, der neun Jahre jünger war als sie?
    Nachdenklich stieg Navideh die Treppen zu ihrem Haus hoch. Vor der Eingangstür blieb sie stehen. Der Nachthimmelwar wolkenverhangen. Spätestens morgen würde es Regen geben. Sie ging hinein und zog die Tür hinter sich zu. Gleichzeitig nahm sie sich vor, Jorges nicht ein zweites Mal zum Essen einzuladen. Sie würden weiterhin plaudern, wenn sie sich zufällig trafen, und vielleicht mal einen Kaffee zusammen trinken gehen, aber mehr nicht. Alles andere würde ihr Leben nur unnötig verkomplizieren. Erst jetzt merkte sie, wie müde sie war. Sie musste dringend ins Bett.
    Gerade als sie das Licht im Schlafzimmer ausschalten wollte, hatte sie das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Was war es? Hatte sie vergessen, die Haustür abzuschließen?
    Plötzlich wusste sie es. Ihr Anrufbeantworter hatte rot geblinkt. Oder war es nur Einbildung? Unruhig stand Navideh auf und ging in den Flur. Tatsächlich. Es

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