Ehrensache
benutzen?«
»Klar.«
Er rief Patience an. Im Lauf des Abends hatte er es bereits zwei Mal versucht, aber es hatte sich
niemand gemeldet.
Doch diesmal meldete sich jemand. Er hatte sie aus dem Bett geholt.
»Wo bist du?«, fragte sie.
»Auf dem Weg nach Norden.«
»Wann kommst du?« Ihre Stimme war ohne jedes Gefühl, ohne jedes Interesse. Rebus fragte sich, ob
das nur an dem Telefon lag.
»Morgen. Ganz bestimmt morgen.«
»So kann es nicht weitergehen, John. Wirklich nicht.«
Er suchte nach Worten, die sie beschwichtigen würden, ohne dass er sich vor Pond lächerlich
machte. Er suchte zu lange.
»Wiedersehen, John.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Sie erreichten Kingussie lange vor Morgengrauen, da wenig Verkehr herrschte und ihnen kein
einziger Streifenwagen begegnet war. Sie hatten Taschenlampen mitgenommen, obwohl das gar nicht
nötig gewesen wäre.
Das Cottage lag am Rand eines Dorfes, ein Stück von der Hauptstraße entfernt, bekam aber genug
von der spärlichen Straßenbeleuchtung mit. Rebus stellte überrascht fest, dass es sich bei dem
»Cottage« um einen ziemlich modernen Bungalow handelte, der auf allen vier Seiten von einer hohen
Hecke umgeben war, abgesehen natürlich von dem Tor, hinter dem eine kurze Schotterauffahrt zum
Haus führte.
»Als Gregor und Liz sich ihr Haus gekauft hatten«, erklärte Pond, »dachte ich, warum nicht. Doch
ich könnte es nicht ertragen, mich mit so was Primitivem herumzuschlagen wie sie. Ich wollte ein
bisschen was Moderneres. Weniger Charme, dafür mehr Komfort.«
»Nette Nachbarn?«
Pond zuckte die Schultern. »Die seh ich kaum. Das Haus nebenan ist auch ein Ferienhaus. Ungefähr
die Hälfte der Häuser im Dorf sind Ferienhäuser.« Er zuckte erneut die Schultern.
»Und Mrs. Heggarty?«
»Die wohnt auf der anderen Seite der Hauptstraße.«
»Also, wer auch immer hier war...?«
»Hätte kommen und gehen können, ohne dass es jemand bemerkt hätte, das ist ganz klar.«
Pond ließ die Scheinwerfer seines Wagens an, während er die Haustür öffnete. Plötzlich waren Flur
und Veranda hell erleuchtet. Aus dem Käfig befreit, streckte Rebus sich erst einmal und
versuchte, seine Beine daran zu hindern, ständig einzuknicken.
»Ist das der Stein?«
»Genau«, sagte Pond. Es war großer kieseiförmiger Stein von rötlicher Farbe. Er hob ihn hoch, um
zu zeigen, dass der kantige Schlüssel immer noch dort war. »Nett von denen, dass sie ihn
dagelassen haben, als sie gegangen sind. Kommen Sie, ich führ Sie rum.«
»Einen Moment noch, Mr. Pond. Könnten Sie versuchen, nichts anzufassen? Wir müssen das Haus
vielleicht noch auf Fingerabdrücke untersuchen.«
Pond lächelte. »Klar, aber meine Fingerabdrücke werden sowieso überall sein.«
»Natürlich, aber trotzdem...«
»Außerdem, wenn Mrs. Heggarty hinter unseren Gästen sauber gemacht hat, wird alles vom
Boden bis zur Decke blank poliert sein.«
Rebus verließ die Zuversicht, als er Pond in das Cottage folgte. Der Geruch von Möbelpolitur,
vermischt mit Raumspray, war unverkennbar. Im Wohnzimmer schien kein Kissen und kein »teures
Spielzeug« am falschen Platz zu liegen.
»Sieht genauso aus wie zu der Zeit, als ich weggefahren bin«, sagte Pond.
»Sind Sie sicher?«
»Ziemlich sicher. Ich bin nicht wie Liz und ihre Clique, Inspector. Ich hab's nicht so mit
Partys. Wenn's bei anderen Leuten stattfindet, find ich's ganz okay, aber das Letzte, wozu ich
Lust habe, ist, Lachsmousse von der Decke zu kratzen oder den Leuten im Dorf zu erklären, dass
die Frau, deren Arsch hinten aus dem Fenster eines Bentley heraushängt, eine Honourable
ist.«
»Sie denken nicht zufällig an die Honourable Matilda Merriman?«
»Eben diese. Mein Gott, Sie kennen sie ja alle.«
»Die Honourable Matilda ist mir allerdings noch nicht leibhaftig begegnet.«
»Ich geb Ihnen einen Rat: Schieben Sie den Augenblick hinaus. Das Leben ist zu kurz.«
Und die Stunden zu lang, dachte Rebus. Am heutigen Tag waren die Stunden ganz gewiss zu lang
gewesen. Die Küche war ebenfalls ordentlich aufgeräumt. Funkelnde Gläser standen auf dem
Ablaufbrett.
»Glaube nicht, dass Sie davon viele Fingerabdrücke kriegen, Inspector.«
»Mrs. Heggarty ist sehr gründlich, was?«
»Oben ist sie nicht immer ganz so gründlich. Kommen Sie, wir sehen mal nach.«
Irgendjemand war auf jeden Fall gründlich gewesen. Die Betten in beiden Schlafzimmern waren
gemacht. Es standen keine Tassen oder Gläser herum; keine Zeitungen oder Zeitschriften oder
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