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Ehrensache

Titel: Ehrensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Köpfe derjenigen, die so leichtsinnig waren, zu dicht heranzugehen. Und die
Graffitis waren größtenteils das Werk eines bigotten Legasthenikers: ERINNERT 1960. Es gab auch
einige neue, mit Kugelschreiber geschrieben. »Das besoffene Vaterunser«, las Rebus. »Vater unser,
voll im Himmel, Aloha sei dein Name.«
Rebus nahm an, dass er, selbst wenn er noch nicht alles erfahren hatte, was er wissen wollte,
zumindest alles hatte, was er aus Chris Kemp herausholen konnte. Es gab also keinen Grund, noch
länger zu bleiben. Überhaupt keinen Grund. Als er mit raschen Schritten aus der Toilette kam, sah
er, dass ein junger Mann an ihrem Tisch stehen geblieben war, um mit Patience zu plaudern. Gerade
machte er sich auf den Weg zurück in den Barraum, und Patience lächelte ihm zum Abschied
zu.
»Wer war das denn?«, fragte Rebus, ohne sich zu setzen.
»Er wohnt bei mir nebenan«, sagte Patience beiläufig.
»Arbeitet bei der Steuerfahndung. Es wundert mich, dass du ihm noch nicht begegnet bist.«
Rebus murmelte irgendwas Unverständliches, dann tippte er mit einem Finger auf seine Uhr.
»Chris«, sagte er, »es ist alles Ihre Schuld. Sie haben viel zu spannende Geschichten erzählt.
Wir waren schon vor zwanzig Minuten zum Essen verabredet. Kevin und Myra bringen uns um. Komm,
Patience. Hören Sie, Chris, ich melde mich bei Ihnen. Könnten Sie inzwischen« - er beugte sich zu
dem Reporter vor und senkte die Stimme - »versuchen herauszukriegen, wer den Zeitungen den Tipp
mit der Bordellrazzia gegeben hat? Das könnte ein Ansatz für die Geschichte sein.« Er richtete
sich wieder auf. »Bis bald, ja?«
»Bis dann, Chris«, sagte Patience und rutschte von ihrem Sitz.
»Okay. Bis bald.« Damit blieb Chris Kemp allein zurück und fragte sich, ob er etwas Falsches
gesagt hatte.
»Kevin und Myra?«, sagte Patience zu Rebus, sobald sie draußen waren.
»Unsere engsten Freunde«, erklärte Rebus. »Und die beste Entschuldigung, da rauszukommen, die mir
gerade einfiel. Außerdem hab ich dir ja versprochen, dich zum Essen einzuladen. Dann kannst du
mir alles über unseren Nachbarn erzählen.«
Er nahm ihren Arm, und sie gingen zurück zum Auto - zu Patience Auto. Sie hatte John Rebus noch
nie eifersüchtig erlebt, deshalb war sein Verhalten schwer einzuschätzen, aber sie hätte schwören
können, dass er gerade eifersüchtig war. Ja, Rebus sorgte immer wieder für Überraschungen...
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3. Tückische Stufen
    Frühling in Edinburgh. Ein eiskalter Wind und ein fast horizontaler Regen. Der Edinburgh-Wind,
dieser Scherz von einem Wind, diese schwarze Farce von einem Wind.
Der die Leute vor sich her jagte, ihnen Tränen in die Augen trieb und diese dann auf geröteten
Wangen zu einer Kruste trocknete. Und dazu noch jener leicht säuerliche Geruch, der alles
durchdrang, der Geruch von den nicht allzu weit entfernten Brauereien. Über Nacht hatte es
gefroren. Selbst der unternehmungslustige Lucky mit seinem dicken Fell hatte vor dem
Schlafzimmerfenster gemauzt und Einlass begehrt. Die Vögel hatten gezwitschert, als Rebus ihn
hereinließ. Er sah auf seine Uhr: halb drei. Warum, zum Teufel, sangen die Vögel so früh? Als er
das nächste Mal wach wurde, um sechs Uhr, hatten sie aufgehört. Vielleicht versuchten sie, die
Rushhour zu umgehen...
An diesem Morgen mit Temperaturen unter null Grad hatte er volle fünf Minuten gebraucht, um sein
launisches Auto zum Anspringen zu bewegen. Wenn es weiterhin den Clown spielte, wurde es Zeit,
ihm eine rote Nase für den Kühlergrill zu spendieren. Außerdem hatte der Frost die Risse in den
Treppenstufen zur Polizeistation Great London Road noch größer werden lassen und die Stufen noch
rissiger, sodass Rebus vorsichtig über ein steinernes Waffelmuster gehen musste.
Tückische Stufen. Doch man würde nichts daran tun.
Jedenfalls wenn man der heftig brodelnden Gerüchteküche Glauben schenken konnte. Gerüchte, die
besagten, dass Great London Road nicht zu retten wäre, völlig marode, bereits über das
Verfallsdatum hinaus.
Gerüchte, dass die Wache geschlossen würde. Schließlich stünde das Gebäude in bester Lage. Ein
erstklassiges Grundstück für ein weiteres Hotel oder einen weiteren Büroturm. Und die Polizisten?
Würden aufgeteilt, so die Gerüchte. Die meisten von ihnen sollten nach St. Leonard's versetzt
werden, in die Polizeiwache Zentrum. Diese lag viel näher an Rebus' Wohnung in Marchmont, aber
weiter von Oxford Terrace und Dr. Patience Aitken

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