Ehrensache
Dame war schon ganz panisch. »Sie sind eingesperrt, Mr. Rebus. Die Tür geht nicht
auf. Soll ich einen Schreiner holen? Ach, du meine Güte.«
»Warten Sie, Mrs. Wilkie, ich glaube, ich hab's gleich.«
Das Hemd noch nicht zugeknöpft, drückte Rebus sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, damit
sie geschlossen blieb. Gleichzeitig nahm er den Stuhl weg und streckte sich, um ihn möglichst
nahe ans Bett zu stellen.
Dann hämmerte er mit viel Getöse gegen die Ränder der Tür, bevor er sie aufriss.
»Alles in Ordnung, Mr. Rebus? Du meine Güte, das ist ja noch nie passiert. Ich bin ja
völlig...«
Rebus nahm ihr Unterteller und Tasse aus der Hand und schüttete den übergeschwappten Tee vom
Teller zurück in die Tasse. »Danke, Mrs. Wilkie.« Er schnupperte demonstrativ. »Kocht da
irgendwas?«
»Ach, du meine Güte. Das Frühstück.« Und damit wackelte sie wieder die Treppe hinunter. Rebus
hatte ein schlechtes Gewissen, weil er die Nummer mit der klemmenden Tür abgezogen hatte. Er
würde ihr nach dem Frühstück zeigen, dass die Tür völlig in Ordnung war, damit sie nicht
irgendeinen Schreiner anrief, um sie reparieren zu lassen. Aber erst mal musste er richtig wach
werden. Es war jetzt halb acht. Der Tee war kalt, doch das Wetter schien für die Jahreszeit
ungewöhnlich warm. Er setzte sich einen Moment auf das Bett, um seine Gedanken zu sammeln. Was
war heute für ein Tag? Mittwoch. Was musste heute alles getan werden? Und in welcher Reihenfolge
würde man es am besten tun? Als Erstes würde er sich mit diesen drei Komikern in der Lodge
treffen.
Dann musste er mit Mrs. Corbie reden. Und noch etwas...
etwas, das ihm letzte Nacht eingefallen war, während er langsam in den Schlaf dämmerte. Ja, warum
nicht? Wo er sowieso in der Gegend war. Er würde nach dem Frühstück dort anrufen. So wie es roch,
gab es reichlich Gebratenes, im Gegensatz zu Patience' üblicher Auswahl an Müsli und
Vollkornflocken. Ach, da war ja noch was. Er hatte Patience gestern Abend anrufen wollen. Dann
würde er es eben heute tun, nur um Hallo zu sagen. Er dachte einen Augenblick an sie, an Patience
und ihre Menagerie von Haustieren. Dann zog er sich fertig an und ging die Treppe hinunter ins
Erdgeschoss...
Er kam als Erster bei der Lodge an, schloss die Haustür auf und schlenderte ins Wohnzimmer.
Sofort sah er, dass irgendetwas anders war. Das Zimmer war ordentlicher.
Ordentlicher? Na ja, sagen wir mal, es stand weniger Müll rum als gestern. Etwa die Hälfte der
Flaschen schien verschwunden zu sein. Er fragte sich, was sonst noch verschwunden sein mochte. Er
hob die Kissen hoch und suchte vergeblich nach dem Handspiegel. Verdammt. Er flog regelrecht in
die Küche. Die Scheibe von dem hinteren Fenster lag in Scherben im Spülbecken und auf dem
Boden.
Hier war das Chaos genauso schlimm wie vorher. Außer dass die Mikrowelle verschwunden war. Er
ging die Treppe hinauf... ganz langsam. Es schien niemand mehr im Haus zu sein, aber man konnte
ja nie wissen. Im Badezimmer und im kleinen Schlafzimmer sah es genauso aus wie gestern. Ebenso
im Hauptschlafzimmer. Nein, Moment mal. Die Strumpfhosen waren von den Bettpfosten entfernt
worden und lagen nun unschuldig auf dem Fußboden.
Rebus bückte sich, hob eine davon auf und ließ sie wieder fallen. Nachdenklich ging er die Treppe
hinunter.
Ein Einbruch, ja. Da war jemand eingebrochen und hatte die Mikrowelle geklaut. So sollte es
jedenfalls aussehen.
Doch kein Dieb würde leere Flaschen und einen Handspiegel mitnehmen, kein Dieb hätte einen Grund,
Strumpfhosen von Bettpfosten zu entfernen. Das spielte jedoch keine Rolle. Entscheidend war, dass
Beweismaterial verschwunden war, für dessen Existenz es jetzt nur noch Rebus' Wort gab.
»Ja, Sir, ich bin sicher, dass im Wohnzimmer ein Spiegel war. Hat auf dem Fußboden gelegen, ein
kleiner Spiegel mit Spuren von einem weißen Pulver...«
»Und Sie sind ganz sicher, dass Sie sich das nicht einbilden, Inspector? Sie könnten sich
doch vielleicht irren.«
Nein, nein, er irrte sich nicht. Doch jetzt war sowieso alles zu spät. Warum sollte jemand die
Flaschen nehmen...
und nur einen Teil davon, nicht alle?
Höchstwahrscheinlich, weil auf manchen Flaschen bestimmte Fingerabdrücke waren. Warum den
Spiegel?
Vielleicht wieder wegen der Fingerabdrücke...
Da hättest du gestern dran denken sollen, John. Dumm, dumm, dumm.
»Dumm, dumm, dumm.«
Und er hatte sich das alles selbst zuzuschreiben. Hatte er diesen drei
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