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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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mich angerufen und in den folgenden Tagen immer wieder meine Nummer gewählt, natürlich, ohne mich zu erreichen. Ich hatte keinen Anrufbeantworter, der ihm hätte sagen können, daß ich auf Reisen war und wo man mich erreichen könne. Der Grund für den Urlaub war eine Reihe von verzweifelten Anrufen seines Vaters, der ihn dringend bat, alles zu tun, um ein paar Tage zu seiner Mutter zu kommen. Sie hatte wieder Schlaftabletten genommen, allerdings nicht so viele. Derselbe Arzt, der beim letzten Mal geglaubt hatte, sie sei tot, hatte sie untersucht. Er meinte, es sei nicht nötig, ihr den Magen auszupumpen. Warten Sie, bis sie sich ausgeschlafen hat, sagte er. Und verschaffen Sie ihr Hilfe, richtige Hilfe, meine ich, in einer Klinik, die von einem Psychiater empfohlen ist, der sich auskennt.
    Haben deine Eltern auf ihn gehört? fragte ich.
    Sie wollte nichts davon wissen, erklärte Henry mir. Ehrlich gesagt, mein Vater auch nicht. Es sei zu demütigend, meinte er; er wolle sie nicht wie eine Verrückte behandeln; das habe sie nicht verdient. Ich weiß, was mein Vater meinte, sagte Henry: Wenn einer ihrer Freunde herausfände, daß sie in eine geschlossene Anstalt eingeliefert werden mußte, würde er vor Scham sterben. Statt dessen kaufte er ihr einen Persianermantel und buchte für April eine Kreuzfahrt zu den Bermudas. Zuerst schien sich ihre Stimmung zu heben; wegen dieses Pelzmantels und wegen einer schönen Frühlingsreise hatte sie ihm schon lange in den Ohren gelegen; aber vor zwei oder drei Wochen wurde alles wieder schwarz; sie erzählte seinem Vater und – am Telefon – auch Henry, dies sei das Ende. Er rief sie aus einer Telefonzelle in Fontainebleau an, aber die Gespräche mit ihr waren unerträglich und grotesker denn je. Entweder wurde sie wütend und warf den Hörer auf die Gabel, oder sie beschimpfte und beleidigte ihn so lange, bis er das Gespräch abbrach, obwohl er nur zu genau wußte, wohin das führen konnte. Zum Schluß beantragte er Urlaub, bekam die Genehmigung, erwischte den Flug nach New York und erschien in Brooklyn. Beim ersten Essen machte er irgend etwas nicht oder nicht richtig, und schon spielte sie ihr »Warum bist du hier?«-Theater, wie Henry es nannte. Wo er eigentlich gelernt habe, alles zu übertreiben und Geld aus dem Fenster zu werfen, das würde sie gern wissen; würde das Militär in Fontainebleau nicht meinen, daß er nur einen Vorwand benutzt habe, müßte er nicht gleich umkehren und alle Arbeit nachholen, die er versäumt habe, und so weiter. Kein einziger Augenblick mit ihr oder seinem Vater sei erfreulich gewesen.
    Der Tag, an dem sie sich umbrachte, war sein letzter in New York gewesen; am Abend wollte er nach Paris zurückfliegen. Für den Abend vorher hatten sie den Plan gehabt, zu seinem Abschied gemeinsam essen zu gehen, in einem Restaurant in Sheepshead Bay, in dem seine Eltern besonders gern waren; es war bekannt für die hervorragende Qualität seines gegrillten Hummers und der gedünsteten Muscheln. Aber als sein Vater von der Arbeit nach Hause kam – Henry war tagsüber im Brooklyn Museum gewesen, aber schon zurück –, sagte seine Mutter, sie sei nicht in derStimmung, auszugehen. Zum Feiern sei kein Grund: Henry solle lieber ins Bett gehen und ordentlich schlafen, denn die nächste Nacht werde er im Flugzeug sitzen. Danach gab es eine Szene. Was sie ausgelöst hatte, wußte er nicht mehr, aber die Mutter stürzte ins Schlafzimmer und schlug die Tür zu, und sein Vater zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und wollte nicht mit ihm sprechen, obwohl Henry versuchte, ihm klarzumachen, daß es lange dauern werde, bis sie sich wiedersähen. Mr. White sagte immer nur: Du willst, daß alles nach dir geht, du machst Ärger und läßt mich dann mit dem Ärger allein. Am Ende entschied Henry, die Lage sei so absurd, daß es keinen Sinn habe, zu Hause zu bleiben. Er hatte Margot nicht benachrichtigt, daß er nach New York komme. Obwohl kaum eine Chance bestand, daß sie in ihrer Wohnung war, rief er sie an. Sie hatte Zeit. Sie aßen zusammen, und dann blieb er über Nacht bei ihr. Geplant hatte er das nicht, er hatte fest vorgehabt, nach Hause zu kommen, aber daran hielt er sich nicht; er rief auch nicht an, um Bescheid zu sagen, daß er bis zum Morgen fortbleiben werde. Ein Anruf hätte nur wieder zu einer Szene am Telefon geführt.
    Du hast die Nacht mit Margot verbracht? fragte ich.
    Ja, sagte er. Sie arbeitet am Metropolitan Museum. Aber das spielt jetzt keine

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