Ehrensachen
ich getan hätte, um Henry zu helfen.
Ihm zu helfen? fragte ich, ehrlich verwirrt.
Ja, antwortete sie, von Anfang an, als du ihm geraten hast, nicht mehr so schüchtern mit mir zu sein. Wir sind keine antisemitischen Juden, wir hassen uns nicht selbst. Wir sind nur Snobs.
Ich fragte, ob das besser sei.
Sicher, sagte sie, wir lassen jedem eine zweite und dritte Chance.
Worauf?
Sei nicht so schwer von Begriff, sagte Henry: eine Chance, sich neu zu schaffen.
XXIV
Archie ging gleich nach dem Militärdienst zur Wharton Business School, aber in Philadelphia gefiel es ihm nicht, also hörte er am Ende des ersten Studienjahrs auf und arbeitete für eine Investment Bank an der Wall Street. Die Hoffnung war, daß er mit seinem perfekten Spanisch, eleganten Benehmen und seinen Kontakten vor Ort dem Unternehmen allmählich zum Aufschwung in Mittel- und Südamerika verhelfen würde. Ich spielte wie früher Squash mit ihm. Mein Spiel taugte wieder einmal gar nichts mehr, und Archie war genau der Richtige, mir beim Training Energie und Willen zum Sieg abzuverlangen. Nach einer Weile schaffte ich es gelegentlich, ihn zu schlagen. Er setzte nur Tricks und Tempo ein, und das war mir lieber als Aufschläge mit der Wucht von Kanonenkugeln, die man unmöglich zurückspielen kann. Solange Archie im Süden von Manhattan arbeitete, spielten wir spätnachmittags, was mir sehr gelegen kam. Irgendwann wechselte er die Stelle. Seine neue Firma lag zentraler, und nun spielten wir fast immer um die Mittagszeit, für mich weniger bequem, aber ich lernte, früh aufzustehen und sofort an die Arbeit zu gehen, so daß eine Mittagspause keine wirklich störende Unterbrechung war. Zunächst spielten wir im Harvard Club und aßen danach unten im Grillroom einen Hamburger. Später wurde Archie Mitglied in einem viel vornehmeren Club im feinen Nordteil Manhattans, der höchst luxuriöse Squashplätze zu bieten hatte, und begann, mich zum Spielen nach der Arbeit dorthin einzuladen. Ab und zu nahm ich die Einladung – sehr widerstrebend – an. Es behagte mir nicht, daß er für mich bezahlte, und meine Angebote, mich an der Platzmiete und den Kosten für die Drinks nach dem Spiel zubeteiligen, lehnte er immer ab. In diesem Club ließ man sich Cocktails oder was man sonst trinken wollte, vom Kellner in den großen Raum neben der Umkleidekabine bringen. Ebenso üblich war es, daß alle sich an der Unterhaltung beteiligten, so daß man mehr oder weniger gezwungen war, mit den Mitgliedern und Gästen, die gerade da waren, Konversation zu machen. Der Typ, den sie verkörperten, lag mir nicht; sie erinnerten mich an gewisse Freunde von George in der College-Zeit, die einer wie der andere näselten und ihre Clubkrawatten mit goldenen Nadeln nach vorn schoben, so daß sie sich wie Rammböcke vor dem Hemdkragen wölbten. An ihrer Unterhaltung lag mir auch nichts. Wenn sie redeten, klangen sie schrill wie Gänse. Ein heißes Thema damals waren die zahlreichen Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis oder dem ihrer Cousinen, die Jack Kennedy vergewaltigt hatte; als ob wohlerzogene Mädchen nicht freiwillig mit dem Präsidenten ins Bett hüpfen würden, nur weil er zufällig ein Mick, ein Ire, war.
Vorläufig hatten weder diese unsympathischen Clubfreunde noch die Alkoholmengen, die er konsumierte, Archies neue Freundin Phoebe Jones abgeschreckt. Sie spürte, daß sich hinter seinen verschiedenen Fassaden eine große Unsicherheit verbarg. Nach dieser Entdeckung hatte sie freie Bahn zu ihrem Projekt, sein Selbstwertgefühl aufzubauen, und der Weg von da bis zum Verlieben war schnell beschritten. Für eine Vierundzwanzigjährige, die an einem kleinen kulturwissenschaftlichen College in Ohio studiert hatte und als Redaktionsassistentin für ein Jugendmagazin arbeitete, war sie sehr mütterlich, obwohl ihre Fassade Entschlossenheit und Effizienz vermitteln sollte: Sie trug graue oder braune Kostüme, die aussahen wie aus dem Schaufenster von Peck & Peck, gestärkte gestreifte Hemdblusen und braune Pumps, in denen sie einen halben Kopf größer war als Archie. Im Gegensatz zu ihm las sie gern, mit Vorliebe Romane aus dem neunzehnten Jahrhundert. Sie kannte schon viel von Dostojewski. Stendhal stand als nächster auf ihrer Liste. Ich nahm an, daß sie es eines Tages bis zu Henry James schaffen und sich als ein modernes, abgemildertes Spiegelbild von Henrietta Stackpole erkennen würde.
Nach unseren abendlichen Squashrunden suchte Archie mich regelmäßig als Dritten im
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