Ehrensachen
Ich lege es darauf an, verletzt zu werden. Benehme mich wie ein Idiot, als wüßte ich nicht, daß hier nur ein Mechanismus am Werk ist, den ich mit geschlossenen Augen auseinandernehmen und zusammensetzen könnte, so gut kenne ich ihn. Ihr war schwindlig vor Glück, mich bei sich zu haben, aber Glück zuzugeben hieß für sie, den Blitzschlag anzulocken, der es zerstören würde. Viel besser, sie brachte es selbst zu Ende, dann konnte sie wenigstens das Bühnenbild bestimmen und in dem Drama Regie führen. Nimm noch ihren Stolz hinzu und ihre Angst,von mir zurückgestoßen zu werden, ihre Gier nach Spannung und dem Reiz des Risikos – wie lange wird sie mich piesacken können, bevor ich die Beherrschung verliere? –, ist das nicht aufregender als Baccarat und Roulette, Glücksspiele, die sie nie versucht hat? Welches Spiel könnte man ihr sonst vorschlagen nach vier Jahren in Pani Marias Kammer hinter einer abgeschlossenen Tür, den ganzen Tag auf den Abend wartend, bis sie ein, zwei Stunden herauskommen durfte, in jeder Hand einen Nachttopf, sorgsam zugedeckt, um den Gestank zu dämpfen? Warum konnte ich nicht sagen, warum habe ich nicht gesagt – denn ich hätte es gewiß sagen können –, warum habe ich nicht gesagt: Ist ja gut, Mommy, ich bin hier, weil ich dich und Daddy liebe, und ich komme wieder, sobald die schreckliche Army mich läßt. Wäre das nicht meine selbstverständliche Pflicht gewesen? Warum mußte ich ein solches Arschloch sein?
Er starrte mich an, als erwarte er eine Antwort. Ich konnte ihm nur sagen, daß ich, solange wir uns kannten, weder an seiner Liebe zu seiner Mutter und seinem Vater gezweifelt hätte, noch daran, daß sie wußten, daß er sie liebte, noch daran, daß ihre Liebe zu ihm das Zentrum ihres Lebens war.
Das macht es um so schlimmer, erwiderte er. Ich habe es ihnen angetan und zugleich mir selbst. Wie ein Schlafwandler.
Obwohl es schon spät war, konnte ich ihn nicht einfach allein lassen, jedenfalls nicht, solange sich diese Scharade um einen Mord in seinem Kopf abspielte. Falls er nicht den ganzen Weg bis Brooklyn fahren mußte, wollte ich einen Schlaftrunk vorschlagen. Ich fragte ihn, wo er übernachte.
Bei Margot, antwortete er.
Ich unterdrückte mein Erstaunen und fragte, ob wir in diesem Fall noch in eine Bar in der Nähe des Restaurants oder in meine Wohnung gehen und etwas trinken könnten. Er sah nach, wie spät es war, und schüttelte den Kopf.
Ich sollte gehen. Margot sagte, sie werde lange fort sein, aber ungefähr um diese Zeit wird sie wiederkommen.
Ich erwiderte: Gut, ich gehe zu Fuß nach Hause, also dann auf Wiedersehen. Wir sehen uns im Herbst in Cambridge, falls du nicht vorher in die Stadt kommst.
Wir verabschiedeten uns mit Handschlag, und als wir uns schon auf den Weg machen wollten, er nach Osten zur U-Bahn und ich nach Westen Richtung Park Avenue, rief er: Warte, ich hab eine Idee; willst du nicht noch einen Schluck mit Margot und mir trinken?
Ich fragte, ob er sicher sei, daß Margot nichts dagegen hätte.
Sie würde sich freuen.
Wir hielten ein Taxi an, das nach Norden fuhr. Unterwegs erinnerte ich ihn, daß er mir seit unserem letzten Treffen – die besonderen Umstände erwähnte ich nicht – noch eine Information über den Stand der Dinge mit Margot schuldig sei.
Ah ja, ich weiß, sagte er. Sie schrieb mir gleich nach der Abschlußfeier, sehr herzlich, gratulierte mir zum summa-Ergebnis und so weiter. Zum Schluß schlug sie vor, wenn ich Zeit hätte, solle ich sie in der Wohnung ihrer Eltern anrufen. Zum Glück traf der Brief gerade noch rechtzeitig ein, bevor ich nach Europa abreiste, also rief ich sofort an, und sie sagte, komm her. Der Portier sagte mir, ich könne hinaufgehen. Es stellte sich heraus, daß Mr. und Mrs. Hornung eine Woche verreist waren, aber der Diener war da und servierte uns ein kaltes Abendessen mit Wein; vorher gab es Drinks. Mit allem Drum und Dran. Dann gingen wir zu einem Jazzkonzert bei Eddie Condon’s. Ich habe vergessen, wer gespielt hat. Darauf habe ich nicht geachtet, ich war zu aufgeregt. Bei der Musik konnten wir uns nicht unterhalten, also gingen wir wieder zu ihr nach Hause. Sie streifte die Schuhe ab, und wir setzten uns auf das Sofa inder Bibliothek. Sie erzählte, im Herbst würde sie ans Sarah Lawrence College gehen und gar nicht erst versuchen, wieder im Radcliffe aufgenommen zu werden. Dann entschuldigte sie sich für die Art, wie sie mich verlassen hatte, sagte, daß alles ihre Schuld war,
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