Ehrensachen
brauchte das Geld nicht, das ein Verkauf ihm einbringen würde.
Dem Mann traue ich, sagte er, deshalb werde ich seinen Rat annehmen, aber nur, wenn er den Verwalter überwacht und auch dessen Nachfolger, falls wir einen einsetzen.
Er verstummte, suchte aber sichtlich nach Worten. Ich schwieg auch, und endlich redete er.
Ich kann das doppelte Bild nicht loswerden, sagte er – den Anblick im Bad natürlich, und ich sehe auch meinen Vater, glatt rasiert und ganz grün im Gesicht, in den Mundwinkeln eine Spur Schaum. Er hatte sich, wie immer, abends zum zweiten Mal rasiert, meiner Mutter zu Gefallen; daß sie nicht mehr da war, machte keinen Unterschied. Morgens zweimal einseifen und zweimal schaben, abends nur einmal. Das war seine Regel. Ich weiß, daß es so gewesen sein muß, ich konnte es ihm ansehen, als er mir, in ein Tuch gewickelt, im Bestattungsinstitut gezeigt wurde. Du wirst mir sagen, daß ich mir dies bloß ausgedacht habe, da er allein gestorben ist und der Sohn in Übersee war. In der Stunde, als er nach amtlichen Angaben wahrscheinlich starb, saß ich mit ein paar Leuten bei einem späten Essen in La Coupole in Paris. Ich glaube, Sauerkraut will ich nie mehr sehen. Willst du noch was wissen? Sie hatten ihn tiefgekühlt, während sie auf mein Eintreffen warteten. Kannstdu dir das vorstellen? Als ich ihn küßte, fühlte er sich an wie ein Eisblock.
Noch etwas weißt du nicht, fuhr er fort. Als meine Mutter gestorben war, hätte ich bei der Army eine Versetzung aus familiären Gründen erreichen können, nach Governor’s Island zum Beispiel, um in der Nähe meines Vaters zu sein. Ich hätte sie nur beantragen müssen. Aber das habe ich nicht getan, und ich glaube, wenn der Kompaniechef mir angeboten hätte, mich nach Hause zu schicken, hätte ich gesagt: danke, Sir, nein, Sir; ich glaube, es ist meine Pflicht, hier im Hauptquartier zu bleiben. Warum? Weil ich nicht wollte, daß mein Vater mich auffrißt. Ich wollte ihn nicht um mich haben mit seinem Kummer, seiner Angst vor dem Sterben, seiner sturen Inkompetenz in allem, was nicht mit seinen Geschäften zusammenhing. Wäre ich bei ihm gewesen, hätte er mich bei lebendigem Leib verschlungen, wie ein Python. Das war’s, was ich gedacht habe. Und statt dessen habe ich geholfen, ihn umzubringen.
Ich erinnerte ihn, daß immer schon, seit wir uns kennengelernt hätten, von der Herzkrankheit seines Vaters und dem drohenden Herzinfarkt oder Schlaganfall die Rede gewesen sei.
Ja, ich weiß, antwortete Henry, deshalb habe ich nur gesagt: Ich habe geholfen, ihn umzubringen. Früher oder später wäre er sowieso an seinem Herzleiden gestorben, aber ich habe sehr wahrscheinlich erreicht, daß es früher passiert ist, und ich habe bestimmt auch erreicht, daß es für ihn trauriger und schwerer war, denn genau das, wovor er solche Angst hatte, ist eingetreten: Er ist allein gestorben und von einer Fremden gefunden worden. Von unserer Putzfrau, als sie am Morgen kam. Du wirst mir erklären, wenn ich dageblieben wäre, hätte ich auch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag bei ihm sein können – nicht, solange ich auf Governor’s Island Schreibkram erledigte, auch irgendwann später nicht, und das ist die pragmatische Wahrheit. Die symbolische Wahrheit klingt anders: Sie sagt ohne Umschweife, daß ich meinen Vater absichtlich im Stich gelassen habe. Bei Daddy wollte ich genausowenig bleiben wie bei Mommy!
Er verstummte, als der Kellner den Tisch abräumte; dann bestellten wir ein Dessert.
Ein Napoleon, rief Henry. Das ist es. Ich nehme ein Stück Napoleonkuchen.
Als das Gebäck gebracht wurde, prüfte er es sorgfältig und sagte: Das war der Lieblingskuchen meiner Mutter. Eine Krakauer Spezialität, die ihr hier gefehlt hat. Sei ehrlich, kannst du dir vorstellen, daß irgend jemand außer mir den einzigen Besuch – auf Notfallurlaub auch noch – bei seiner Mutter, die klar übergeschnappt war, so versaut hätte? Wo gibt es noch so ein Monster wie mich, zeig mir’s, wenn du kannst. Der Mann ist mein verlorener Bruder. Ein Muttermörder wie ich, ein mother killer : Warum ist das nicht das Allzweckschimpfwort bei uns GIs? Es sagt alles so viel deutlicher als das andere, das wir immer benutzen. Ich komme an, und sie sagt: Warum bist du hier, geh doch wieder in deine Kaserne. Und was mache ich? Ich setze mich aufs hohe Roß, und jedesmal, wenn ich runterkomme, steige ich gleich wieder auf, weil sie schon wieder etwas gesagt hat, das mich bis ins Mark trifft.
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