Ehrensachen
daß ich ein alter Freund Archies sei, und verlange nicht von mir, ihr zuzustimmen oder zu widersprechen.
Ende September war ich wieder in New York, zog in ein Apartment in einer umgebauten Remise in den East Seventies und lud Henry zu einer Einweihungsparty ein, dereneinziger Gast er war. Ich erzählte ihm von Phoebes Kummer. Er nickte und sagte, Archie sei nicht mehr ganz dicht. Und das ist noch nicht alles, deutete er geheimnisvoll an, aber alles Nähere solle Archie mir selbst erzählen. Dies war Henrys drittes Jahr in der Kanzlei. Er sagte mir, er arbeite noch härter als in seinen Anfängen und habe vieles mit mir zu bereden. Am nächsten Tag mußte er wieder verreisen, aber wir verabredeten, nach seiner Rückkehr in ungefähr zwei Wochen wieder zusammen zu Abend zu essen. Dann sei er an der Reihe, sagte er, er werde mich in ein Restaurant einladen.
In der Zwischenzeit spielte ich, um wieder in Form zu kommen, immer um die Mittagszeit Squash mit dem Trainer des Harvard Clubs. Ich verabredete mich nicht zum Lunch und aß entweder eine Kleinigkeit allein oder nahm mir zu Hause etwas aus dem Kühlschrank. Als ich nach einer dieser Squashrunden gerade aus dem Club auf die Straße gehen wollte, hielt mich der Portier auf und sagte, der Küchenchef hat ein Radio in der Küche, und er hat eben gehört, daß auf den Präsidenten geschossen wurde. Ich blieb stehen und fragte in meiner unglaublichen Dummheit: auf den Präsidenten? Pusey, den Präsidenten von Harvard? Nein, antwortete er, auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Ich trat hinaus auf die Straße und fing aus irgendeinem Grund an zu rennen. Wohin? Zuerst wußte ich es nicht, aber ich wollte nach Hause. Als ich die Park Avenue erreicht hatte, wurden die Fahnen auf Halbmast gesenkt, und am Straßenrand hielten Limousinen, deren Türen auf der Fahrerseite offenstanden. Die auf volle Lautstärke gedrehten Radios wiederholten die Nachricht. Man hatte auf ihn geschossen, und er war tot.
Aber ich war am Leben und wollte gerade mit Archietelefonieren, um mich zum Squash mit ihm zu verabreden, da rief er von sich aus an. Entweder hatte ich durch die Trainerstunden gute Fortschritte gemacht, oder Archie war nicht in Form. Ich schlug ihn. Was er auf dem Herzen hatte, erzählte er mir erst nach dem Spiel bei einem Bier an der Bar. Seine Verlobung mit Phoebe war geplatzt. Das wußte ich, fand es aber unnötig, ihm zu sagen, daß sie mich in Paris angerufen hatte. Ohne mir Zeit für ein gemurmeltes Bedauern zu lassen, sagte er, jetzt sollst du die gute Nachricht hören: Ich heirate. Er zeigte mir ein Foto der Braut, das er in der Brieftasche hatte. Sie war sehr blond, blauäugig, etwas rundlich. Eine Deutsche? fragte ich. Gut geraten, antwortete Archie, ihre Eltern seien Deutsche, seit Kriegsende in Buenos Aires. Der Vater war ein hoher Offizier der Kriegsmarine gewesen und habe ein großes Import- und Exportunternehmen für Nahrungsmittel aufgebaut. Die Hochzeit sollte in sechs Wochen in New York stattfinden. Den Eltern sei es sehr recht, denn sie kannten eine Menge Leute in der Stadt, und für ihre Familie und Freunde aus Deutschland sei es leichter, nach New York zu kommen. Anschließend würden er und Alma eine kleine Hochzeitsreise in den Westen machen, und danach planten die Eltern einen großen Empfang in B. A. Ich gratulierte ihm. Es wird eine fabelhafte Hochzeit, wenn du bereit bist, einer der Platzanweiser zu sein, sagte er. Henry hat schon zugesagt, Trauzeuge zu sein. Alma ist eine ganz besondere Frau, sagte er mit großem Ernst. Sie hat einen guten Einfluß auf mich.
Kann ich darauf zählen, daß du zur Hochzeit kommst? fragte er, bevor wir uns trennten. Ich sagte, ich würde mich darauf freuen.
Gut, erwiderte er, aber deinen Cut wirst du nicht anziehen können. In Argentinien feiert man so etwas gern am Abend, also wird die Messe um sieben sein, und gleich anschließend kommt der Empfang, der eher als Dinner mitTanz geplant ist. Ich werde einen Frack anziehen, und die Platzanweiser tragen Smoking.
So kam es, daß ich mich inmitten einer seltsamen, von Henry geführten bunt gemischten Truppe aus Verplancks, Phippses und Voorhises wiederfand, um die Gäste des Admirals und Frau von Holbergs in St. Ignatius Loyola zu begrüßen und später mit Almas sexhungrigen Brautjungfern zu tanzen, die, so hatte man mir erklärt, alle nachweislich Jungfrauen waren. Mir war es zugefallen, Archies Mutter zu der für sie vorgesehenen Kirchenbank zu geleiten.
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