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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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wir sind auf einem toten Gleis angekommen. Vielleicht haben Sie recht. Zwei oder drei Leute in Paris fallen mir für Sie ein, aber ich würde lieber erst mit Jake Reiner sprechen.
    Plötzlich erschüttert von der Ungeheuerlichkeit meiner Tat, gab ich mir Mühe, ihm meine Zuneigung und meinen Respekt zu beteuern, aber er reagierte nur mit einem vagen Kopfnicken. Er hielt mich eindeutig für einen Vatermörder. Ein paar Behandlungsstunden später erklärte er mir jedoch, Dr. Reiner und er seien sich einig, daß ich im Fall eines Parisaufenthaltes zu Madame Bernard gehen solle. Er habe sich erlaubt, schon telefonisch Kontakt mit ihr aufzunehmen, und anscheinend habe sie in ihrem Zeitplan Platz für mich. Ich fragte, ob sie Medizinerin sei.
    O nein, erwiderte er, das ist kaum nötig. Sie ist eine Analytikerin aus der Freudschule und Mitglied der Pariser psychoanalytischen Gesellschaft.
    Ich sagte, ich hätte das Gefühl, daß er mich Lacan in die Arme treibe. Nein, nein, wehrte er ab, nichts dergleichen. Sie sind auch nicht verpflichtet, zu ihr zu gehen. Es gibt andere Möglichkeiten.
    Damit begann die Zeit meiner täglichen Expeditionen in die Rue de la Faisanderie; meine Wohnung lag in der Ruede Tournon mit Blick auf einen großen Garten an der Rückseite des Gebäudes; und die Metroverbindung zwischen beiden Orten war so umständlich, daß ich mir einen Peugeot 404 kaufte, hauptsächlich, um zwischen dem sechsten und sechzehnten arrondissement hin- und herzufahren.
    Zum Glück hatte ich einen Parkplatz im Hof der Rue de Tournon. Das Geld für das Auto – oder überhaupt die Kosten für meinen Pariser Aufenthalt – schien mir angesichts meiner Einnahmen keine unvernünftige Ausgabe zu sein. Auch hatte Mr. Hibble, der sich zur Ruhe setzen wollte und dabei war, seine Verpflichtungen als Vermögensverwalter an eine Treuhandgesellschaft in Boston zu übergeben, mir die Kontoauszüge meines Treuhandvermögens ausgehändigt. Mein Respekt für den Alten schoß in schwindelnde Höhen. Er hatte fast von Anfang an, noch während meiner Schulzeit, stark in IBM investiert und damit ein hohes Risiko auf sich genommen, sagte er mir, denn Treuhandvermögen sollten laut Vorschrift diversifiziert werden. Da ich meine Neugier nicht zügeln konnte, fragte ich ihn, ob dies seine ganz private Strategie sei oder ob Jack Standish sich genauso verhalten habe. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, lächelte er, legte dann den Finger an die Lippen und flüsterte: schsch.
    Die eigenartige Gewohnheit amerikanischer Analytiker, immer im August Ferien zu machen, war auch in Frankreich verbreitet. Nicht nur Madame Bernard, sondern anscheinend ganz Paris war unterwegs. Neugierig, ob die Mitglieder der psychoanalytischen Gesellschaft ein eigenes Nest hatten, fragte ich sie, wo sie den Monat verbringen wolle. Anders als Dr. Reiner verzichtete sie auf bissige Kommentare. Sie überhörte meine Frage einfach. Im übrigen verreiste ich auch. Als Tom Peabody schrieb, daß er nach Europa komme und, abgesehen von den ersten drei Juliwochen, die er zum Arbeiten in der Bodleian-Bibliothek brauche, keinefesten Pläne habe, schlug ich vor, wir könnten nach dem Abschluß seiner Arbeit zusammen von Paris nach Montreux fahren und den August in dem Hotel mit Blick auf den See verbringen. Ich wäre nicht der erste Romancier, der versuchte, dort zu arbeiten.
    Vor unserer Abreise rief mich Margot an. Henry hatte ihr gesagt, daß ich in Paris war. Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, sie zum Abendessen in meine Wohnung einzuladen, aber sie wäre mein erster Essensgast gewesen, und ich war mir nicht sicher, ob meine sehr nette femme de ménage ein sommerliches Mahl zubereiten konnte, das Margots Billigung fand. Also lud ich sie in ein Restaurant in der Rue Marbeuf ein, nur ein paar Schritte vom pied-à-terre ihrer Eltern, in dem sie wohnte. Seit dem Abend, als Henry mich auf einen Drink mit in ihre Wohnung nahm, hatte ich sie nicht mehr gesehen. Sie hatte sich weiter verändert; aus dem typischen Radcliffe-Girl war eine Frau geworden. Ich fragte, ob sie zu Besuch in Paris sei, denn Henry hatte mir erzählt, daß sie ans Courtauld-Institut gehen oder vielleicht in London arbeiten wollte. Sie sagte, wo sie wohnen werde, sei noch offen; es hänge von einer neuen Entwicklung ab, die sie mir erzählen werde – ich mußte ihr aber versprechen, daran zu denken, daß noch nichts entschieden und nichts gesichert war. Dann sagte sie: Es kann sein, daß ich

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