Ehrensachen
ihn erbt. Oh, und drei Kinder hat er, drei kleine Jungen, fügte sie hinzu. Wahrscheinlich sind sie auch alle blond und schön. Nach Etienne kam dann ein Anwalt, ja, noch ein Anwalt. Mit ihm bin ich seit Jahren zusammen, buchstäblich seit Jahren, wenn man mit jemandem zusammensein kann, den man so selten sieht. Mit jemandem, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht und eine Nachricht hinterläßt: Komm ins Hotel. Als wäre ich ein Callgirl. Egal. Er ist verheiratet und arbeitet so hart und reist so viel, daß es für mich ist, als wäre er nicht da, auch wenn er sich angeblich in Europa aufhält. Er würde seine Frau nie verlassen. Ich fange schon an zu glauben, daß er es leid ist, ihr untreu zu sein.
Ich schwieg, während sie sorgfältig ihre gegrillte Seezunge zerteilte.
Stichwort Anwälte: Warum hast du mich nicht nach Henry gefragt?
Wir haben uns doch über ihn unterhalten, widersprach ich.
Ich meine nicht Henry und mich, sagte sie, sondern, daß du nicht gefragt hast, wie es ihm mit seiner Arbeit geht, in der Kanzlei und so. Du weißt, wie lange man in einer Kanzlei Mitarbeiter bleibt; für Henry kommt der entscheidende Augenblick im nächsten Jahr. Entweder machen sie ihn zum Partner, oder er sitzt auf der Straße. Natürlich würde er dann eine andere Stelle finden – mein Vater wartet schon auf ihn. Kaum hatte sie das gesagt, fing sie an zu kichern.
Ich sagte, das könne nicht stimmen, denn George seizwei Jahre vor Henry zu Wiggins gekommen und immer noch Mitarbeiter, ohne sich zu beunruhigen.
Das ist etwas anderes, erklärte sie mir. Anwälte in der Vermögensverwaltung werden später Partner – weil sie nicht so hart arbeiten und der Kanzlei nicht so viel Geld einbringen.
Ich widersprach wieder: George arbeite sehr viel.
Aber so sehen sie es nicht, erwiderte sie. George wird warten müssen, bis Henrys Jahrgang an der Reihe war, oder vielleicht länger. Natürlich macht er sich keine Sorgen. Er ist bei Wiggins & O’Reilly sehr beliebt, und natürlich würden sie nichts unternehmen, das Mr. Bowditch als Schlag ins Gesicht empfinden könnte.
Und Henry? fragte ich.
Du bist wirklich nicht auf dem neuesten Stand. Sie haben ihm angeboten, in ihre Pariser Niederlassung zu kommen, weil sie dringend jemanden brauchen, der ganz große internationale Abschlüsse samt Steuerkomplikationen handhaben kann. Das beherrscht zur Zeit niemand in den Pariser Filialen der New Yorker Kanzleien. Henry würde Wiggins einen klaren Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen – wenn alles gutgeht. Aber er macht sich große Sorgen, weil es immer heißt, als hochrangiger Mitarbeiter in eine ausländische Filiale geschickt zu werden sei der Todeskuß: aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn deine Gruppe für die Partnerschaft zur Diskussion steht, wirst du übergangen. Andererseits ist ihm klar, daß sie ihm vielleicht auf ihre wunderbar subtile Weise zu verstehen geben: Geh nach Paris, Henry, oder du wirst kein Partner.
Das ist schwierig, sagte ich. Du weißt wirklich viel über Anwaltskanzleien. Ich erinnerte mich, daß mir dieser Gedanke schon bei unserem letzten Treffen gekommen war.
Solche Dinge schnappt man hier und da auf, gab sie zur Antwort.
Würde Monsieur du Roc es nicht noch viel schwerer für Henry machen, nach Paris zu gehen? fragte ich.
Sie gab mir recht, meinte aber, kein Partner zu werden, wäre womöglich bitterer für ihn.
Aber wenn er nun hierher kommt und es doch nicht schafft? Ist das nicht der schlimmstmögliche Fall? Gibt es einen älteren, erfahrenen Mann in der Kanzlei, den er um Rat fragen kann? Ich meine mich zu erinnern, daß da ein wichtiger Partner war, für den er internationale Abschlüsse vorbereitete. Was rät der?
Jim, sagte sie, du meinst Jim Hershey.
Sie wurde rot, und ich wendete schnell die Augen ab.
Diesmal sagte ich ihr die Wahrheit: Ich könne mich nicht an seinen Namen erinnern.
Er hat mit Hershey geredet, antwortete sie. Er hat Henry geraten, Vertrauen in die Kanzlei zu haben.
Und du, Margot? Wie schwierig wäre es für dich? fragte ich.
Ich weiß nicht, erwiderte sie sehr langsam. Das hängt davon ab, was Henry akzeptieren kann.
XXVII
Madame Bernard und ihr berühmter Lehrer Dr. Otto Abend glaubten an die Methode, Behandlungen zeitlich zu begrenzen; sie kündigte mir frühzeitig an, daß wir innerhalb von achtzehn Monaten zum Abschluß kommen würden. Ich hatte viele Jahre mit Dr. Reiner und Dr. Kalman verbracht, ergebnislose Jahre, die ich allerdings manchmal für
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