Ehrensachen
unentbehrlich hielt, deshalb verstand ich diese Ankündigung zuerst als ein neues Beispiel für den entsetzlichen Humor der Psychoanalytiker, für einen üblen Scherz, der den Patienten aufschrecken, zu geschärftem Bewußtsein seiner selbst und zu besserer Zusammenarbeit bewegen sollte. Aber, wie sich zeigte, meinte sie es sehr ernst. Kurz vor dem angesetzten Zeitlimit eröffnete sie mir, daß wir so weit gegangen seien, wie sie für angemessen hielt. Die Analysen ihrer anderen Patienten endeten auch. Sie hatte eine Dozentur an der Universität Genf angenommen und wollte dorthin umziehen.
Sie lassen mich im Stich, sagte ich. Als Sie mit meiner Analyse anfingen, hatten Sie den Ruf an die Universität schon und paßten deshalb die Dauer meiner Behandlung Ihren persönlichen Plänen an. Ich finde, Sie haben sich unprofessionell verhalten.
Inzwischen hätte ich wissen müssen, daß ich sie nicht im mindesten aus der Ruhe bringen konnte.
Das verstehen Sie falsch, belehrte sie mich. Ich habe mir ein Bild von Ihrem Fall gemacht und kam zu dem Ergebnis, daß Sie in der verfügbaren Zeit zu behandeln wären. Sonst hätte ich Sie nicht als Patienten angenommen.
Bevor ich so ins Wasser geworfen wurde, mit einer einzigen ungeprüften Rettungsleine zu Madame Bernards eigenem Lehranalytiker, einem Mann mit weißem Spitzbart, der seine Patienten in seiner Wohnung in der Nähe der Metro-Haltestelle Gobelins empfing, für mich nur unwesentlich leichter zu erreichen als die Rue de la Faisanderie, ging ich zu Margots Hochzeit, die wegen der Ereignisse im Mai 1968 um einen Monat verschoben worden war. Der erste Teil, die standesamtliche Trauung, fand in der mairie des achten arrondissements statt, da Hornungs pied-à-terre zu diesem Bezirk gehörte. Du Roc hatte offensichtlich keinen festen Wohnsitz aufzuweisen. Seit er seine Frau verlassen hatte, war er in den Wohnungen von Freunden untergeschlüpft, wenn sie in die Ferien fuhren, oder hatte sich in vorübergehend leerstehenden Dienstmädchenkammern eingenistet. Ich hatte den Verdacht, daß er gelegentlich auch in seinem schnittigen Lancia gehaust hatte, denn dessen Rückbank war vollgestopft mit einem Sammelsurium von Gegenständen, die man in einem Auto nicht vermuten würde. Eine kirchliche Zeremonie fand nicht statt. Aber später am Tag gaben die Hornungs einen Empfang im Ritz, wo sie wohnten. Ihr Apartment hatten sie Margot überlassen, bis das junge Paar eine eigene Bleibe fand. Das wird nicht so bald passieren, sagte mir Mr. Hornung. Monsieur Jean hat sehr feste Vorstellungen von dem, was er haben will. Er hat seinen Beruf verfehlt. Bauunternehmer hätte er werden sollen. Noch haben sie nicht entschieden, welcher Art die Bleibe sein soll, die ich ihnen kaufen darf, aber er wird in jedem Fall alle Wände einreißen und alle Rohre neu verlegen wollen. Das wird garantiert Jahre dauern.
Mr. Hornung hatte seinen Schwiegersohn vielleicht nicht ins Herz geschlossen. Aber der Empfang ließ mich an das Königreich der Friedfertigen denken, wo das Lamm neben dem Wolf liegt, der Leopard beim Zicklein und ein Kind den jungen Löwen und das Mastkälbchen führt. Da es keinen Brauch gibt, der vorschreibt, daß die Trauzeugen derBraut bei einer standesamtlichen Trauung Frauen sein müssen, hatte Margot Henry und mich gebeten, diese Rolle zu übernehmen. Daß sie mich dafür aussuchte, war eher überraschend, und ich fragte mich, ob ich dies der Verbindung mit Henry zu verdanken hatte – nach Archies Tod war ich sicherlich sein engster Freund – oder der Tatsache, daß ich Romane schrieb und deshalb ein Gegengewicht bildete zu du Roc und den beiden über sechzigjährigen Mitgliedern der Académie Française beziehungsweise der Goncourt-Akademie, die als seine Trauzeugen fungierten. Ich schlug vor, daß Etienne an meiner Stelle hätte stehen oder als dritter Zeuge hätte dazukommen sollen. Sie warf mir einen eisigen Blick zu und brachte mich damit auf die Idee, daß sie es vielleicht selbst in Erwägung gezogen, sich jedoch dagegen entschieden hatte, weil sie fürchtete, daß Henry, auf dessen Humor man sich nicht verlassen konnte, damit nicht fertig würde. Immerhin war Etienne in der mairie und im Ritz zugegen, zusammen mit seiner glamourösen Frau und seiner Mutter, und stellte mich beiden Damen vor. Ich nahm an, daß ich Jeans Apothekervater, Monsieur Lebon, und seine Mutter erkennen würde, wenn nicht in der mairie , dann doch bestimmt in den cremeweißen und goldenen Salons des
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