Ehrensachen
hatte oder erschlagen würde, weil der einen Hebräer schlug, ein Moses, der weder sein Volk in die Wüste führen würde, damit es dem Herrn opferte, noch selbst dorthin ginge.
Diesmal war Henry der Gastgeber. Er führte mich zu den Fleischtöpfen eines seiner Lieblingslokale in Paris, und kaum hatten wir bestellt, erzählte er mir von seinen Plänen für die Feiertage. Er war in Hochstimmung. Die de Rhams luden wie jedes Jahr am Heiligabend Anwälte und Büroangestellte zu einer Weihnachtsfeier ein. Er hielt es in Anbetracht seiner neuen Position für seine Pflicht, daran teilzunehmen, und er freute sich darauf. Es seien lauter nette Leute. Am Weihnachtstag sei er zum Abendessen bei den Garlands eingeladen. Zwei Tage danach würde er in le Bourget von Hubert de Sainte-Terres Privatflugzeug abgeholt und nach St. Moritz gebracht werden, dort wollte er eine Woche mit Hubert und Gilberte Skilaufen – Gilberte sei Huberts Frau. Wohnen würde er in ihrem Chalet. Um den fünften Januar wollten sie alle zusammen zurückkommen. Den größtenTeil seiner Zeit mit ihnen könne er als Mandantenwerbung deklarieren; sonst würde sie als Urlaub angerechnet. Eins von beiden, wichtig sei es ihm nicht.
Seit wann kannst du Skilaufen? fragte ich ihn.
Ich kann es nicht, sagte er. Hubert hat mir klargemacht, daß ich es lernen muß, damit ich mit ihnen Skiferien machen kann. Sie treiben den Sport mit Leidenschaft. Er sagt, seine Skilehrerin in St. Moritz könnte sogar einen Elefanten zum olympiareifen Skiläufer machen.
Wenn das so ist, hast du vielleicht eine Chance, beruhigte ich ihn. Babar wirkte ganz majestätisch auf Skiern, also warum nicht du?
Ja, warum eigentlich nicht, erwiderte er, auch wenn Babar wohl in jüngeren Jahren angefangen hat.
Ich wußte nicht mehr, ob das stimmte, und ich fragte nicht, wo er dem König der Elefanten begegnet war, den ich aus Bilderbüchern kannte, die ich in Paris für die Standish-Zwillinge gekauft hatte. Statt dessen fragte ich, welche Zauberei bei seiner Akquisition eines dermaßen wichtigen Mandanten im Spiel gewesen sei und wie er es geschafft habe, sich so eng mit ihm und seiner Frau anzufreunden.
Keine Zauberei, sagte Henry und wurde rot, sondern reines Glück. Erinnerst du dich an die van Dammes?
Wie könnte ich Madeleine vergessen? fragte ich. Außerdem waren sie und Etienne auf Margots Hochzeit, weißt du nicht mehr?
Das ist schon so lange her, sagte er. Es ist mir entfallen. Etienne und ich haben uns übrigens fast jedesmal, wenn er auf der Durchreise war, in New York getroffen. Er lud mich dann zum Abendessen ein − gegen eine kostenlose juristische Beratung.
Davon wußte Margot sicher noch nichts, dachte ich mir.
Die Sainte-Terres sind seit Generationen mit der Familie van Damme befreundet, fuhr er fort. Hubert ist nur einpaar Jahre älter als Etienne, und sie stehen einander sehr nah. Madeleine ist eine Cousine von Huberts Schwiegermutter. Sein Schwiegervater gehört zu einer französischen Familie, deren Oberhaupt der Duc de Grandlieu ist. Hubert ist hochzufrieden, daß Gilberte eine Grandlieu ist. Wie auch immer, anders als Etienne, der ein sehr guter Geschäftsmann ist, aber nicht viel Ehrgeiz hat, ist Hubert ein Raubvogel, un rapace , sagen die Franzosen. Vor ungefähr zehn Jahren erbte er von seinem Vater eine profitable, aber relativ kleine belgische Bank – die Banque de Sainte-Terre.
Das Heilige Land, Palästina! unterbrach ich ihn.
Sei still, sagte Henry. Als einziges Kind erbte er alle Anteile des Vaters und wurde der mit Abstand größte Aktionär, er besaß ungefähr fünfundsechzig Prozent des Kapitals, die übrigen Anteile wurden von einigen der bekanntesten belgischen Gesellschaften gehalten. Du weißt, Belgien ist das Land der Holdinggesellschaften. Diese Gesellschaften investieren gegenseitig in Aktien, und dann wäscht eine Hand die andere. Als Hubert vor ein paar Jahren belgische, französische und holländische Gesellschaften aufkaufen wollte, konnte er seine Aktionäre dazu bringen, mit ihm an einem Strang zu ziehen. Gewöhnlich übernehmen er und diese Aktionäre als Gruppe die Kontrolle. In Europa heißt das keineswegs, daß man Mehrheitsaktionär sein muß. Weil das Stimmrecht von Inhaberaktien kaum genutzt wird, kannst du mit einem viel kleineren Posten die Kontrolle übernehmen oder wenigstens eine Sperrminorität einsetzen, die der Gesellschaft jede wichtige Änderung unmöglich macht. Nimm die Banque Industrielle d’Occident als Beispiel.
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