Ehrensachen
meinem Verleger, der mir erzählte, daß Jean und Margot du Roc in Paris waren. Ein Treffen mit Margot war die beste Gelegenheit, etwas über Henry zu erfahren. Ich wählte ihre Nummer, in der Erwartung, mit einem Anrufbeantworter zu sprechen, aber sie kam selbst ans Telefon und lud mich für den nächsten Tag zum Mittagessen im pied-à-terre ihrer Eltern ein, wo sie immer noch wohnten.
Wie ich gehofft hatte, waren wir allein. Ich lehnte einen Begrüßungsdrink ab, und wir setzten uns sofort zum Essen, das von einem düsteren älteren Mann in schwarzem Anzug serviert wurde. Als er aus dem Zimmer gegangen war, erklärte sie, er sei der Diener, der so wie die Köchin zum Apartment gehöre. Kein unwillkommenes Arrangement. Jeanschätze es inzwischen sehr und erwarte nun von ihr, daß sie diesen Komfort auch in der Wohnung in der Rue de Barbet de Jouy aufrechterhalte, in die sie im Herbst gleich nach Abschluß der Umbauarbeiten einziehen wollten. Bevor ich sie daran hindern konnte, stürzte sie sich in eine Beschreibung der Änderungen, die sie vornahmen, und der großartigen Möglichkeiten des verwilderten Gartens, der ausschließlich von ihnen genutzt würde. Dann gestand sie, daß alle Ideen von Jean stammten und daß er alles erst mit dem Architekten und dann mit dem Bauunternehmer geplant hatte.
Ich gratulierte ihr zu dem bevorstehenden Umzug in eine so charmante Straße und sagte, ich hoffte, daß sie glücklich in ihrem neuen Leben sei; wie es scheine, habe sie allen Grund dazu.
Ja, so scheint es, sagte sie, aber für mich ist es ein ziemlich sonderbares Leben. Jean arbeitet in seinem Studio. Sie zeigte unbestimmt in eine Richtung weg von der Tür, durch die wir ins Eßzimmer gekommen waren. Wenn er eine Pause braucht, läuft er den Cours Albert 1er entlang. Immer allein; er muß nachdenken. Wenn wir etwas unternehmen wollen, gehen wir auf Partys und zu Essenseinladungen. Da kenne ich niemanden und, was noch schlimmer ist, ich kann der Unterhaltung nicht folgen. Nicht, weil sie Französisch sprechen. Mein Französisch ist gut. Aber ich verstehe nie, über wen und was sie sich so aufregen. Wenn ich Jean frage, sagt er: Ah, c’est très compliqué, und wechselt das Thema, oder seine Erklärungsversuche machen mir Kopfweh. Henry ist der einzige Mensch hier, der mich aufheitert. Aber er arbeitet fast immer an superwichtigen oder supereiligen Sachen, meist für seinen Sainte-Terre. Er ist wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug.
Als sie von Henry sprach, leuchtete ihr Gesicht auf.
Ich sagte ihr, wie schade ich es fände, daß ich ihn nicht sehen würde.
Es ist ein Jammer, sagte sie. Es macht Spaß, zuzusehen, wie er in seine neue Position hineinwächst. Er zieht auch um, in ein Apartment an der Rue de Rivoli, nur ein paar Querstraßen von seinem Büro entfernt. Er bewohnt das ganze obere Geschoß des Gebäudes mit einem fantastischen Blick auf die Tuilerien. Seine travaux werden wirklich im September zu Ende sein. Der Bauunternehmer ist verpflichtet, alle möglichen Konventionalstrafen zu zahlen, wenn er den Termin nicht einhält.
Ist der Verkehrslärm nicht unerträglich? fragte ich.
Das hat mir auch Sorgen gemacht, bestätigte sie, aber er sagte mir, daß Hubert ihm eine Firma empfohlen hat, die Fenster mit einem totalen Lärmschutz einbaut. Diese Leute haben auch in Huberts Apartment am Quai Conti gearbeitet, wo er das gleiche Problem hatte. Du glaubst nicht, wie Hubert Henrys Leben in die Hand nimmt. Er will seine Finger in allem haben.
Und hast du diesen neuen besten Freund schon kennengelernt? Wie ist er eigentlich?
O ja, sagte sie, beim Abendessen in seinem Haus und in der Oper; er interessiert sich für Henrys alte Kumpel. Dich möchte er auch kennenlernen; das habe ich ihn sagen hören. Wie er ist? Er ist ein Rüpel mit Adelstitel. Als ich das Henry sagte, hat er mich fast erwürgt, aber der ursprüngliche, der Ur-Hubert ist genau das: ein Rüpel. Was noch? Er ist sehr intelligent − vielleicht nicht so brillant wie Henry, aber intelligent genug, um zu verstehen, was er an Henry hat. Er ist wirklich enorm reich und sehr standesbewußt. Damit meine ich nicht nur das Geschäftliche. Die Familie ist sehr alt und sehr adlig. Ich glaube, das vergißt er nie, und er sorgt dafür, daß es auch kein anderer vergißt. Aber er mag Henry wirklich gern und verläßt sich auf ihn. Möchtest du was Komisches hören?
Ich nickte.
Henry hat mir erklärt – aber gewußt hatte ich es wohl schon –, daß es in
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