Ehrensachen
Belgien eine Menge Antisemitismus gibt. Huberts unternehmerische Erfolge sind nicht nach jedermanns Geschmack, und so hat sich das Gerücht verbreitet, daß die Sainte-Terres eine jüdische Familie seien, zur Erklärung seiner Habgier. Wie das kommt, kann man leicht sehen – de Sainte-Terre, also aus dem Heiligen Land, also Israeliten. Das ist natürlich Blödsinn. Der erste der Familie, der diesen Namen trug, war ein Ritter, dem Ludwig VII . auf dem zweiten Kreuzzug den Titel Comte de Sainte-Terre verlieh. Auf diesem Kreuzzug wurden die meisten Juden erschlagen. Vielleicht hat Hubert Henry die Geschichte erzählt, um ihn vorzuwarnen, weil Henry sich nun dank Hubert im belgischen Schickeria-Milieu bewegt. Vielleicht wollte er auch zeigen, wie weit er sich um seiner Freundschaft mit Henry willen herabläßt. Zutrauen würde ich es ihm.
XXIX
Henry hatte mir schon einige Jahre vorher erzählt, daß sich der Kummer und die Orientierungslosigkeit nach dem Tod der Eltern ganz gegen seine Erwartung nicht verloren hatten und nicht dem Gefühl Platz machten, daß er endlich ein freier Mann war.
Sicher, sagte er, jetzt widerspricht mir niemand, wenn ich erzähle, was in der ÄvH – Ära vor Harvard – geschah, diese abscheulichen, sinnlosen Anrufe haben sich erübrigt, und ich muß mich nicht mehr fragen, ob meine Mutter endgültig übergeschnappt ist und ob mein Vater seine Angina pectoris nur vortäuscht. Aber wie befreiend ist es, allein auf das Unheil zu starren, das ich angerichtet habe? Auf das Unrecht und die Verletzungen, an denen ich schuld bin?
Mein Vater erweckte keine Reuegefühle in mir. Was er sich angetan hatte, bis hin zu dem Krebs, den er sich gleich selbst in die Därme hätte pflanzen können, ging allein auf sein Konto. Da war ich mir sicher. Man könnte darüber spekulieren, ob er auch dann zu einem unfähigen Menschen und Trinker geworden wäre, wenn er das Glück gehabt hätte, Vater eines leiblichen Sohns, nicht eines Faksimiles zu sein, oder ob er seinem eigenen Fleisch und Blut ein guter Vater gewesen wäre, aber was hatte das mit mir zu tun? Mit demselben Gewinn konnte man sich fragen, ob meine Mutter eine treue Ehefrau hätte sein können, wäre ihre Ehe nicht nur kalt, klamm und leer gewesen. Sie hatten einander verdient, sagte ich mir. Hatte ich Schaden angerichtet, indem ich vor ihnen floh, eine Mauer der Gleichgültigkeit zuerst und dann der Krankheit aufrichtete, hinter der ich mich versteckte? Daran hatte ich kaum Zweifel, sowenig wie ich bezweifelte, daß sie früher genüßlich zugesehen hatten, wie ihr masochistisches Findelkind jedesmal, wenn sie es vor den Kopf gestoßen hatten, wieder angekrochen kam. Wie sollte man das, was ihnen angetan wurde, aufwägen gegen das, was sie mir angetan hatten? Diese Rabeneltern, die so unverschämt gewesen waren, ein fremdes Kind zu sich zu nehmen, zu mißhandeln und als ihr eigenes auszugeben? Unsere Rechnungen waren ausgeglichen; jeder Schaden, den ich womöglich verursacht hatte, war bezahlt und überzahlt, als ich meiner Mutter das Haus abkaufte. Daß sie sich mit ihrem Greg in die Ferne aufgemacht hatte, war ein unerwarteter Segen, eine Extra-Dividende, wie Henry vielleicht sagen würde. Von nun an würde ich den reizenden Menschen, die sich süßlich nach meiner lieben Mutter erkundigten, mit Vergnügen ihre postlagernde Adresse in Maui geben. Sicher würden andere Dämonen kommen und ihre Krallen in meine Flanken schlagen, aber die Hausgeister würden nach den Renovierungsarbeiten der Klempner und Maler ausgetrieben sein, und das einstige Heim meines Vaters und meiner Mutter konnte eine neue Karriere beginnen: die eines schönen Giebelbaus aus dem späten achtzehnten Jahrhundert im Besitz eines bekannten Romanciers, der wie alle früheren Eigentümer den Namen Standish trug.
Trotz der Bauarbeiter im Haus wohnte ich im August dort, denn in diesem Monat nahm George seinen Urlaub. Wir spielten regelmäßig Tennis, George und Edie gegen May Standish und mich, und oft blieb ich zum Mittagessen. Bei einem Gin Tonic oder Hühnersalat erklärte George seine Pläne für eine moderne auf Grundbesitz und Vermögen spezialisierte Anwaltspraxis, die superreichen Ausländern helfen würde, ihr Bargeld, ihre Anteile an amerikanischen Gesellschaften und US -Immobilien vor jedem legal vermeidbaren Cent Steuergeld zu schützen. Modell für seinen Plan waren Henrys Erfolge bei Hubert de Sainte-Terre. Nicht nur hatte man ihm die Verantwortung für juristische
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