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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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dir’s von Shylock erklären.
    Hast du übrigens gemerkt, daß in dem Film kein Wort über die Ermordung der Millionen Juden in Europa fällt? Wie viele Millionen, fünf? Sechs? Sieben? Hätte das nicht irgendwie vorkommen müssen? Zum Beispiel, als einer von den Ultrarechten den Mann, den Garfield spielt, den Kriegsveteranen in voller Uniform samt Orden, mit dem Schimpfwort »dreckiger Jidd« beleidigt? Eisiges Schweigen. Was verrät uns das über Mr. Garfield, der früher einmal Garfinkel hieß, und über alle anderen, die mitgearbeitet haben? Moss Hart zum Beispiel, der das Drehbuch geschrieben hat?
    Ich wisse keine Antwort, sagte ich.
    Es gibt keine vernünftige Antwort. Das ist einer der Gründe, warum ich lieber einen Bogen um dieses Thema mache. Archie und ich zum Beispiel reden nicht darüber.
    Daß Archie sich auf eine Tirade von dieser Art einlassen würde, konnte ich mir auch nicht vorstellen. Andererseits war er über den Stand der Dinge mit Margot sicher auf dem laufenden. Als ich ihm erzählte, ich sei ins Sanders Theatre bestellt worden, um sie zu identifizieren, sagte er, Henryhabe ihn auch zum Mitkommen aufgefordert, aber er sollte seine Meinung zu einem anderen Punkt sagen.
    Aber ich gehe nicht hin, sagte er. Ich bin mir sicher, daß ich diesen Lollipop schon letzte Woche auf Marios Party gesehen habe. Scheint gar nicht übel.
    Mario war ein Kollegiat im letzten Jahr, ein argentinischer Polospieler, der in seinem Stundenplan Zeit für Rugby gefunden hatte.
    Ich sehe zu, daß Mario sie wieder einlädt, und wir, du und ich, nehmen Henry mit, fuhr Archie fort. Das ist die einzige Möglichkeit, die beiden zusammenzubringen. Aber sag ihm kein Wort davon. Wenn er es weiß, kommt er nicht.
    Das war die tatkräftige und angenehme Seite Archies, die zu seinem sommersprossigen guten Aussehen, seiner Gepflegtheit und seiner mühelosen Höflichkeit paßte. Wenn ein Freund Hilfe bei einem praktischen Problem brauchte, war Archie der richtige Mann dafür. Die Kehrseite war, daß er trank. Immer schon, soweit ich zurückdenken konnte, hatte ich beobachtet, wie meine Eltern zur Flasche griffen. Ich hatte einen sicheren Blick für Leute, denen der Alkohol etwas ganz anderes bedeutete als ein Schwips nach ein paar Gläsern zuviel. Selbstzerstörerische Trinker wie mein Vater machten mir angst; anders kann ich es nicht sagen, auch wenn sie, wie mein Vater, keinerlei Neigung zur Gewalttätigkeit zeigten. Daß Archie Alkoholiker war, stand für mich zweifelsfrei fest, obwohl er die meisten seiner Freunde dadurch täuschte, daß er so viel vertrug. Für mein Gefühl vertrug er viel zuviel. Auf den Partys von Archies Freunden, die ich mitgefeiert hatte, wurden Unmengen von Alkohol konsumiert, und Archie hielt dabei dermaßen mit, daß ich gewarnt war und beschloß, ihnen in Zukunft fernzubleiben. Diesmal aber war es etwas anderes. Wenn Henry Margot vorgestellt wurde, würde ich nicht versäumen, dabeizusein.
    Ich bezweifelte nicht, daß Archie meine Mißbilligungspürte. Daß sie ihn verletzte, ging deutlich aus seinem veränderten Verhalten mir gegenüber hervor. Er war wachsam geworden. Nur beim Squash wurden wir wieder Kumpel wie anfangs. Wir spielten oft. Er war ein schneller, leichtfüßiger Spieler, und ich mußte mich sehr anstrengen, um ein passabler Partner für ihn zu sein. Sobald mir klar war, wie wir zueinander standen, konnte ich besser begreifen, daß Archie weder meine Mißbilligung, die er bestimmt wieder nur für ein Zeichen meiner Zimperlichkeit hielt, noch, soweit ich wußte, die Warnungen anderer ernst nahm. Er hatte sich eingeredet, viel zu trinken sei eine romantische Geste, eine kavaliersmäßige Trotzhandlung, die er sich leisten könne, weil er sich vollkommen in der Hand hatte, wenn er wollte, und weil er gesund und kräftig war. Squash war übrigens auch ein Spiel, das Henry von Archie lernte; Archie war ein guter Lehrmeister und Henry ein eifriger Schüler, da er diesen Sport zu Recht mit teuren Internaten assoziierte. Warum sich Archie solche Mühe mit Henry gab und warum er sich ihm so eng angeschlossen hatte, war mir ein Rätsel. Vielleicht war es, wenigstens zu Beginn, die Anziehungskraft des Exotischen. Henry war für Archie genau wie für mich ein fremder Typ, einer, wie er uns noch nie begegnet war. Archies frühere Kontakte mit Juden müssen noch begrenzter gewesen sein als meine, aber er blieb ihnen gegenüber aufgeschlossen, so wie er fast alles ohne festgelegtes Urteil betrachtete,

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