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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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ausgenommen bestimmte Gin- und Zigarettenmarken und ähnliche Requisiten, die ein Gentleman zu seiner Bequemlichkeit und seinem Behagen braucht. Aber nicht nur Henrys jüdische Herkunft oder seine Kriegserfahrungen, nach denen Archie vielleicht, vielleicht auch nicht, gefragt hatte, oder Henrys Zwiespältigkeit hielten Archies Interesse wach. Was ihn wirklich fesselte, war die erstaunliche Tatsache, daß ausgerechnet Henry, der intellektueller und belesener war, als Archie es je an einem Menschen erlebt hatte, so entgegenkommend, so bereit war, sich ganz und gar auf ihn einzulassen. Er hatte Ehrfurcht vor Henrys Denkvermögen, und er hätte es verstanden, wenn Henry bei ihren Unternehmungen abweisend, vielleicht sogar überheblich gewesen wäre. Statt dessen wollte Henry offenbar unbedingt Archies Tricks von ihm lernen und sich zusammen mit ihm die Zeit vertreiben, ohne herablassend zu sein – obwohl Archie sicher bewußt war, daß es überwiegend alberne Beschäftigungen waren, mit denen er sich die Zeit vertrieb. So anerkannt zu werden muß für Archie fast ein Wunder gewesen sein. Es überzeugte ihn davon, daß Henry ihn wirklich gern hatte, und Archie wie Henry hatten, jeder auf seine Weise, ein ungeheures Bedürfnis, anderen gefällig zu sein und zu gefallen. Das hatte seinen Preis, und sie bezahlten ihn beide. Archie glaubte die vorgetäuschte Mühelosigkeit von Henrys Erfolgen, und darüber hinaus sah er in Henrys Freundschaft womöglich eine Bestätigung seines Verhaltens, einen Beweis dafür, daß er in Ordnung war, und einen guten Grund, meine Mißbilligung oder das, was er dafür hielt, abzutun. Vielleicht auch die Mißbilligung oder Nörgelei anderer. Henry kann nicht entgangen sein, welche Rolle er spielte. Aber wieweit fühlte er sich in diesem Fall für Archie verantwortlich? Sah er sich entlastet, weil er, ähnlich wie ich, zu der Überzeugung gekommen war, daß jeder Versuch, Archie zu ändern, scheitern müsse und also reine Zeitvergeudung sei? Ich fragte mich, ob Archie Henry irgendwann vorwerfen würde, daß er mitgespielt hatte; vielleicht tat er es jetzt schon zu gewissen Zeiten, in den scheußlichen Stunden, wenn ein Kater langsam vergeht und beklemmender Klarsicht Platz macht. Das kam mir nicht wahrscheinlich vor, aber er war für mich undurchsichtiger als Henry, obwohl man hätte meinen können, daß Archie und ich uns besser verstanden. Allerdings sprach er besonders wenig über sich und seine Familie, und ich war nicht soneugierig auf ihn wie auf Henry; beides trug dazu bei, daß ich ihn nicht durchschauen konnte.
    Die Party bei Mario sollte, wie mir Archie sagte, nach dem Spiel gegen Yale, dem letzten Footballspiel der Saison, stattfinden, und zwar in dem Haus, in dem wir in unserem zweiten College-Jahr hatten wohnen wollen. Archie und Henry wollten ohne Mädchen zu dem Spiel gehen. Da ich mir keine Karte besorgt hatte und sagte, ich wolle keine, riet Archie mir, an der Pförtnerloge vor dem Haus auf sie zu warten und aufzupassen, daß Henry nicht in letzter Minute absprang. Am Nachmittag war das Wetter sehr ungemütlich geworden, und Windböen fegten durch den überdachten Durchgang zwischen der Straße und dem Hof, wo ich wartete. Daß Harvard schmählich gegen Yale verlieren würde, war vorherzusehen, und vielleicht hatte es deshalb den Kollegiaten und Mädchen, die jetzt von der Dunster Street ins Haus strömten, nicht die Laune verdorben. Ich registrierte die roten Wangen und Nasen, die langen, mehrmals um den Hals gewickelten Harvard- oder Yale-Schals der Mädchen und ab und an einen Waschbärpelzmantel. In der Garderobe bei uns zu Hause hing auch so ein Mantel aus den College-Tagen meines Vaters. Am Abend bevor meine Mutter und ich nach Cambridge fuhren, bot er ihn mir sehr liebenswürdig an. Mürrisch lehnte ich ab, wie in einem Reflex, und ich wußte, daß ich ihn kränkte, auch wenn er seinen alles mildernden Martini zur Hand hatte und nichts weiter sagte als sein übliches »Na schön.«
    Endlich kamen Archie und Henry. Wir gingen über den Hof und stiegen die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf. Das Wohnzimmer war überfüllt und laut. Mehrere Leute begrüßten Archie, und Henry blieb vorsichtig an seiner Seite. Da ich kein bekanntes Gesicht sah, bewegte ich mich langsam zum Fenster, sah auf den Charles hinaus, der jenseits des Memorial Drive wie eine glatte Anthrazitaderglitzerte. Auf dem Plattenspieler lag ein Stapel LP s. Zuerst wurde ein Tango gespielt. Danach kam ein

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