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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Daß ich Bälle nicht werfen kann, weißt du, weil du gesehen hast, wie ich es versuchte. Ich kann auch nicht auf Bäume klettern. Gut möglich, daß ich das nie mehr lerne.
    Ich blieb beharrlich – im Rückblick muß ich sagen: stur und halsstarrig – bei meiner Meinung, daß nichts, was er mir erzählt habe, eine Barriere zwischen ihm und Margot sein müsse. Der Krieg hat euch viel entrissen, sagte ich, und ihr habt Schlimmes aushalten müssen. Das wird niemand besser verstehen als die Hornungs.
    Sicher, in der Theorie. Aber was wir vor dem Krieg waren oder was im Krieg passiert ist, ist gar nicht der Punkt. Was wir jetzt sind, darauf kommt es an. Wir sind eine andere Spezies geworden. Was ist mit dem Unternehmen meines Vaters? Eine kleine Fabrik in East Brooklyn hat er, die Vorhänge, Polsterstoffe und solches Zeug herstellt. Er investiert in kleine Miethäuser. Vor dem Krieg hat er etwas Englisch gelernt, aber wie er es spricht, konntest du am Telefon hören. Mit meiner Mutter ist es genauso. Unsere Startlinie liegt in East Brooklyn. Bist du jemals dagewesen? Ich kann es nicht empfehlen. Bis vor einem Jahr haben wir in einem richtigen Loch gewohnt. Zwei kleine Schlafzimmer – nicht größer als meines hier –, ein häßliches dunkles Wohnzimmer und eine häßliche Küche. Mit hübscher Aussicht auf den Luftschacht. Jetzt haben wir ein großes Haus in Flatbush, einem ruhigen Teil von Brooklyn mit lauter normalen Mittelschichtjuden. Die Freunde meiner Eltern sind wie wir. Alle ehemalige Dies oder ehemalige Jenes. Im Gegensatz zu uns sind manche von ihnen vor dem Krieg hierhergekommen, sie mußten sich nicht in einem Keller oder hinter dem Schrank anderer Leute verstecken. Manche haben mehrGeld als mein Vater, manche sogar richtig viel, aber wieviel ist das im Vergleich mit Leuten wie den Hornungs? Gar nichts. Du hast das Gesicht verzogen, als ich sagte, Margot und ihre Eltern gehörten zu einer anderen Spezies als meine Eltern und ich. Na gut; die Metapher nehme ich zurück. Hier ist eine andere: Zur Zeit sitzen Margot und ihre Eltern hoch oben in einer Baumkrone. Wir hocken ganz unten an den Wurzeln. Aber warte nur, das ist der Baum, auf den ich eines Tages klettern kann; ich werde es lernen. Sonst hat es keinen Sinn, daß ich hier bin.
    Ich wünschte, ich könnte sagen, daß ich nach diesem Gespräch nicht mehr mit ihm debattiert hätte. Aber ich hörte nicht damit auf. Ich erklärte, es sei nicht so wichtig, wo einer wohne und wieviel Geld er habe. Wichtig ist nur, wer man im Kern wirklich ist, sagte ich. Das sei der Unterschied zwischen Amerika und Europa. Während ich so oberlehrerhaft redete, war mir vage bewußt, daß ich eine Behauptung aufstellte, die ich nicht hätte aufrechterhalten können, wäre meine eigene Lage Gesprächsgegenstand gewesen. Sicher, auf der Werteskala der Berkshires stand die Familie meiner Eltern ziemlich weit oben, und damals hatte ich mehr Respekt vor der Oberschicht von Lenox und Stockbridge, als sie, wie die Erfahrung später zeigte, verdiente. Abgesehen von dem unwichtigen Detail, daß ich nicht das leibliche Kind meiner Eltern war, schien es nichts auszumachen, daß der Ruf meiner Eltern angeschmutzt war und daß sie und ihre Eltern das Geld zum Fenster hinausgeworfen hatten, bis sie, verglichen mit dem schwerreichen Cousin und Arbeitgeber meines Vaters, jämmerlich arm waren. Diesem Cousin mit seinem makellosen Ruf und allen Vorteilen eines guten Namens. Ja, unsere Familien waren beide Mitglieder des hochwichtigen Country Clubs, in dem wir uns oft und befangen auf gesellschaftlicher Ebene begegneten. Die Cousins aber gehörten auch zu anderen Clubs, von denen meine Elternnur träumen konnten, und führten ein ganz anderes Leben. Dachte irgend jemand in den Berkshires, der bei Verstand war, daß meine Eltern und ich auf gleicher Stufe mit dem Cousin meines Vaters stünden? Ich wußte, die Antwort auf diese Frage lautete nein, aber sie tat mir weh. Ich wollte auf zwei Hochzeiten tanzen, nur nach eigenen Leistungen beurteilt werden und zugleich alle Hilfe haben, die mein Name mir verschaffen konnte, auch wenn es ein Name war, den ich, trotz des rechtskräftigen Adoptionsverfahrens, nicht mehr mit Überzeugung für den mir rechtmäßig zustehenden halten konnte. Und doch: In den Berkshires und vielleicht auch darüber hinaus machte es sich besser, Standish zu heißen als Nowak oder Mahoney.
    Am Ende war es gleichgültig, was ich sagte. Henry lachte und lachte.

VI
    Jetzt weiß

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