Ehrensachen
sagen, und alles Weitere mußte sich dann ergeben. Ich warf einen prüfenden Blick auf meine Zimmergenossen. Sie hatten sich nicht von der Stelle bewegt, standen immer noch mit dem Rücken zur Tür, also konnten sie Margot nicht gesehen haben.
Mit einem frischen Martini in der Hand bahnte ich mir den Weg zu George. Es dauerte einen Moment, bis er mich sah. Dann machte er ein freudig überraschtes Gesicht – ich hoffte, der Ausdruck war nicht nur gespielt –, staunte laut über den Zufall, mir ausgerechnet hier zu begegnen, auf einer Party von Leuten, die er nicht kenne, und erklärte Margot, daß ich sein Cousin sei. Darauf murmelte sie einen Gruß, nicht besonders freundlich. Ohne weiter auf sie zu achten, sagte mir George, er habe sich gleich zu Anfang, am Semesterbeginn, mit mir treffen wollen, aber dann sei eins zum anderen gekommen, und dazu noch das Training in der Rudermannschaft, und er habe es einfach nicht geschafft. Im Gegenzug versicherte ich ihm, daß ich oft an ihn gedacht hätte und, da ich in das Ringerteam aufgenommen sei, vollkommen verstehen könne, wieviel Zeit ihn dasMannschaftstraining koste. Dann kam Mario zu uns. Das war eine gute Gelegenheit, Henry einzuführen. Meine beiden Mitbewohner sind hier, erzählte ich George. Ich möchte euch gern vorstellen.
Aber dann holte ich nur Henry. Sowie sie ihn sah, wurde Margot lebendig. Sie breitete die Arme aus und rief: Na endlich, der Junge im Fenster! Das ist zu komisch. Was habe ich für ein Theater gemacht, weil ich so gern mit ihm anbändeln wollte, und er hat mich überhaupt nicht beachtet! So eine Demütigung.
Ich war mir nicht sicher, ob diese Begrüßung Henry verlegen machte oder ermutigte. So oder so brauchte er mich nicht. Ich machte Anstalten, mich wieder auf meinen Posten am Fenster zurückzuziehen, wollte aber nur noch so lange auf der Party bleiben, bis ich die Garantie hatte, daß mit Henry alles in Ordnung war, und dann zum Abendessen gehen. George löste sich von Margot und kam mir nach.
Weißt du, daß ich dich besuchen wollte, das war ernst gemeint. Wir sollten Freunde sein. Ich habe nur einen Cousin Standish, und das bist du.
Genau genommen, stimmte das nicht ganz. Er hatte zwei ältere Cousinen ersten Grades, Töchter der Schwester seines Vaters. Ich war nur ein Vetter zweiten Grades. Sie hießen nicht Standish, das war richtig; jedoch waren sie näher mit ihm verwandt. Aber es wäre plump gewesen, ihm zu widersprechen.
Pittsfield ist ein komischer Ort, sagte er dann über das Städtchen, in dem die Zentrale der Bank war. Stockbridge und Lenox auch. So wie ich Vater kenne, will er bestimmt nicht, daß die Mitarbeiter der Bank denken, er behandle deinen alten Herrn anders als alle anderen, also sieht er garantiert zu, daß die Beziehung rein geschäftlich bleibt. Aber mit dir und mir hat das nichts zu tun. Wir sollten Freunde sein.
Ich war sehr überrascht. In meiner Kinderzeit hatte ich immer gedacht, so etwas sei ganz unmöglich. Als wir in derselben Grundschule waren, ging ich zu seinen Geburtstagsfesten, weil seine Mutter unsere ganze Klasse einlud. Die Einladungen hörten selbstverständlich auf, als wir in verschiedene Internate kamen. Jetzt tat er den ersten Schritt. Ich konnte mir nicht vorstellen, was hinter diesem Angebot steckte. Daß die Eltern Standish Informationen über meine Eltern und meine Adoption äußerst diskret handhabten? Womöglich hatte Hibble die Wahrheit gesagt, und niemand wußte Bescheid, außer meinen Eltern und ihm. Und meinem Großvater Standish, der mein Wohltäter war. Was konnte George an mir sympathisch finden? Mir fiel nichts ein. Vielleicht hatte irgendein wohlmeinender Mensch etwas Günstiges über mich gesagt, das seine Phantasie angeregt hatte. Oder er handelte nach dem Prinzip: noblesse oblige . Dann fiel mir ein, daß ich ihm, falls er das Freundschaftsangebot wirklich ernst gemeint hatte, von der Adoption erzählen mußte. Wenn jemandem die Familienbande so wichtig waren, durfte ich sie ihm nicht verschweigen. Aber das hatte noch Zeit. Ich sagte, nichts wäre mir lieber als eine Freundschaft mit ihm. Dann fügte ich hinzu: Margot scheint nett zu sein.
Ich mag sie sehr, sagte er. Wenn ich sie zum Neujahrstanz nach Stockbridge lotsen kann, mußt du auch kommen.
Wir sagten auf Wiedersehen. Ich fand Mario und dankte ihm. Archie sah ich nirgends. Margot und Henry standen noch da, wo ich sie verlassen hatte. Ich wollte sie lieber nicht stören. Mit Glück würde ich in der Mensa
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