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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Charles entlang, den ganzen Weg bis zur Harvard Bridge, dann über die Brücke nach Boston, wo er eine Weile in Back Bay herumlief. Danach ging er auf dem Storrow Drive zurück nach Cambridge, zum Harvard Square und schließlich durch die Brattle Street und die Spark Street. Schöne Häuser, sagte er; ich hätte nichts dagegen, in einem davon zu wohnen.
    Es war richtig, daß ich nicht mit ins Restaurant gegangen bin, sagte er. Dein Cousin George war so freundlich gewesen, mich den ganzen Abend mit Margot reden zu lassen. Beim Essen war ich überflüssig. Schließlich hatte er sie eingeladen, stimmt’s? Es war sein Abend mit ihr. Was soll’s, nach diesem Muster wird es immer ablaufen. Daran werde ich mich gewöhnen müssen.
    Ich muß verständnislos ausgesehen haben. Ganz einfach, erklärte Henry, sie ist genau der Typ Mädchen, mit dem sie alle ausgehen wollen, die Männer auf der Party, und George ist genau der Typ Mann, der sie ihrer Meinung nach ausführen sollte. Oder jemand, der noch großartiger undauffallender ist als er. Ich komme nicht in Frage. Trotzdem, sie hat mir erzählt, daß sie ihnen nicht viel zu sagen weiß und daß die Männer, wenn ihr etwas einfiele, ohnehin nicht zuhören könnten. Mit mir kann sie reden, sagt sie. Das ist meine Rolle – sie hat es sehr deutlich gemacht.
    So schätzte ich die Lage auch ein – abgesehen von seiner Zukunft als Margots Vertrauter. Deshalb dachte ich insgeheim, er müsse aufhören, Zeit an seine Penthesilea des Jazz-Zeitalters zu verschwenden, und auch die Finger von den grauen Mäusen lassen, mit denen er sich getröstet hatte. Es gab so viele attraktive Mädchen am Radcliffe, die froh über ihn wären. Vielleicht waren sogar ein paar Jüdinnen dabei. Aber das sagte ich ihm nicht. Vielmehr machte ich ihm Komplimente für seine realistische und gelassene Einschätzung der Lage.
    Gelassen? fragte er zurück. Mach dich nicht lächerlich. Ich habe lausige Karten. Das weiß ich, aber daran ist nichts gelassen. Versteh mich nicht falsch. Ich gebe Margot nicht auf. Dies ist nur ein taktischer Rückzug in einer langen Kampagne. Vorläufig habe ich den Plan, ihr Freund zu sein. Was auch immer passiert und was auch immer sie mit den anderen anfängt, ich werde warten.
    Diese Absichtserklärung beruhigte mich nicht. Ich hatte mir Margot und die anderen Mädchen und die Männer auf Marios Party genau angesehen. Wenn er wirklich glaubte, er werde Margot im Lauf der Zeit von den Georges und Marios dieser Welt abbringen können, dann mußte er sich auf eine herbe Enttäuschung gefaßt machen. Ich wußte, daß ich von Dur nach Moll gewechselt hatte, aber das war nicht zu ändern. Allmählich fragte ich mich, ob Archie und ich nicht einen Fehler gemacht hatten, als wir dafür sorgten, daß sich die beiden auf Marios Party begegneten, als wäre es nur ein Studentenulk. Gleichzeitig trieb mich etwas zum Weitermachen, ich mischte mich zu gern ein. Ich fragte, ober die Lage nicht prüfen wolle, indem er sich mit ihr verabredete.
    Sie würde mich zum Mond schießen, sagte er. Das würde alles verderben.
    Warum? Hältst du sie für antisemitisch? fragte ich ihn direkt. Wenn es so wäre, was könnte ihre Meinung ändern?
    Sind nicht alle Antisemiten? schoß er zurück.
    Das glaube ich nicht, erwiderte ich. Ich bin keiner, Archie auch nicht, und es gibt eine Menge Leute, denen es vollkommen gleichgültig ist, ob du Jude bist.
    Da bin ich mir nicht so sicher, sagte Henry. Jedenfalls wart ihr nie auf einem Prüfstand. Stimmt, dir und Archie scheint es nichts auszumachen, daß man euch einen jüdischen Zimmergenossen angedreht hat. Aber weiß man, was in anderen Kontexten herauskäme? Mir scheint, daß du geradezu besessen von der jüdische Frage bist. Ändern sich die Verhältnisse, könnte sich zeigen, daß es dir sehr viel ausmacht. Jedenfalls weiß ich, daß es Juden und Juden gibt und daß manche von ihnen meistens akzeptabel sind, außer für wirkliche Spinner, andere dagegen nicht. Margots Vater und Margot werden wohl zu den Juden der Kategorie A gehören. Ich bin Kategorie B – vorläufig. Ich möchte in die Kategorie A aufsteigen.
    Seine Feindseligkeit brachte mich etwas aus der Fassung, aber ich wünschte ihm trotzdem viel Glück.
    Unterdessen beobachtete ich ihn in seiner Rolle als Margots Seelenfreund und bewunderte seine unheimliche Effizienz. Ich glaube, kein Tag verging, ohne daß sie morgens zwischen Unterrichtsstunden und nachmittags, wenn sie aus der Bibliothek kamen,

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