Ehrensachen
bei Hayes-Bickford zusammen Kaffe oder Tee tranken. Er mied Leavitt & Pierce’s, weil man da an der Theke sitzen mußte, so daß eine strikt private Unterhaltung unmöglich war, und auch, weil »sie«, die Jeunesse dorée nämlich, sich dort aufhielt. Meistens lasen erund Margot Seite an Seite in der Widener-Bibliothek. Wenn Margot die Radcliffe-Bücherei benutzen mußte, weil dort ein bestelltes Buch, das sie brauchte, für sie bereitlag, wartete er draußen und begleitete sie dann zu ihrem Wohnheim. Gelegentlich gingen sie zusammen ins Kino, weil George kein Kino-Fan war. Außerdem hatte er viel zu tun, Mannschaftstraining und Hausaufgaben drängten – er war ein gewissenhafter Student, der langsam las und bei der Lektüre sorgfältig Notizen machte –, und gewöhnlich stand er unter Zeitdruck und fürchtete, eine Hausarbeit nicht rechtzeitig abliefern zu können. Margot, so war mein Eindruck, arbeitete schnell, aber nicht sehr intensiv. Laut Henry war sie durch ihre New Yorker Schule so gut vorbereitet, daß sie meinte, sich für ihre Kurse nicht weiter anstrengen zu müssen. Ich hätte gern gewußt, worüber Henry und Margot redeten. Erzählte er ihr zum Beispiel offener von Polen und dem Krieg? Dazu sagte er nichts, ich erfuhr aber, daß George nicht der einzige Mann war, mit dem Margot sich auf – in Henrys Worten – richtige Dates einließ. Sie hatte auch einen Belgier an der Business School, einen reichen Studenten, der es eilig hatte, nach New York zu kommen, wann immer sie zu ihren Eltern fuhr. Er ist ein internationaler Playboy, erklärte Henry mir, eindeutig in Margots Ausdrucksweise verfallend, kein typischer Business-School-Streber. George wußte, daß es diesen Belgier gab, und ertrug dessen Einmischungen mit stoischer Ruhe. Überhaupt schienen Gleichmut und Toleranz in seiner Beziehung zu Margot Georges Markenzeichen. Unnötig indiskret verriet Henry mir, daß Margot erklärt hatte, welche klaren Grenzen sie für die Freiheiten gesetzt habe, die George sich mit ihr erlauben durfte, und daß George diese Grenzen ohne Murren akzeptiert habe. Vielleicht fiel es ihm leicht, weil sein Mannschaftstraining sehr hart und rigoros war und weil der besonderen Kraftnahrung für die Spitzenathletenangeblich Salpeter beigemischt wurde. Henry schien zu wissen, daß der Belgier stürmischer vorging.
Auch Henry war für George kein Problem, und es war Georges Idee gewesen, ihn zu der Neujahrsparty im Lenox Driving Club einzuladen; das behauptete jedenfalls Margot. Auch dich hat George ganz von selbst eingeladen. Ich hatte keinen Grund, die Richtigkeit dieser zweiten Aussage zu bezweifeln, da George mir die Einladung schon auf Marios Party angekündigt hatte. Aber auf Henrys harmlose Bemerkung hin regte sich in mir häßliche Eifersucht – ich fand, daß Henry ebenso mir gehöre wie die Verbindung mit George und den Berkshires, und einen Augenblick lang mißfiel mir die Allianz von Henry und George, die sich ohne mein Zutun ergeben hatte. Ich fragte mich, wieviel Margots Einfluß mit der Einladung an Henry zu tun hatte. Eine Menge, meinte ich, obwohl George sich mir gegenüber, schon kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, günstig über Henry geäußert hatte. Dieser Mitbewohner von dir mit dem komischen Akzent ist in Ordnung, sagte er. Margot findet, er ist außergewöhnlich. Ich bestätigte beide Urteile. Es kann sein, daß er Jude ist, fuhr George fort. Da ich keinen Grund sah, so zu tun, als wüßte ich es nicht, sagte ich, ja, das stimmt. So, er ist Jude, wiederholte George nachdenklich. Das verstand ich nicht als ein Indiz dafür, daß ihn die Information unangenehm überraschte. Er brauchte nur einen Moment, um die Bedeutung dieses neuen Faktums zu erfassen. Den Eltern wird es nichts ausmachen, sagte er dann. Henry ist sehr höflich, und er kann sich mit Mutter über Bücher unterhalten. Im Gedanken daran, wie strikt mein Vater gegen Juden in unserem Country Club gewesen war und wie heftig Gummy sie ablehnte, fragte ich George, wie Henry seiner Meinung nach bei den Senioren im hochvornehmen Driving Club ankommen werde. Meine Eltern waren dem Club nicht aus eigener Entscheidung ferngeblieben. Was diese Mumien denken, schert mich nicht, antwortete George. Die Eltern auch nicht. Ich schwieg und ließ seine Äußerung in mich einsinken. Wieder zeigte er, daß er viel mehr Anstand besaß, als ich mir vorgestellt hatte. Seine Antwort hatte aber auch noch einen anderen bemerkenswerten Aspekt: Reichtum und
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