Ehrensachen
noch etwas zu essen bekommen. Ich steuerte eilig die Quincey Street an.
VII
Nach Weihnachten tobte ein heftiger Wintersturm, legte in West-Massachusetts, Teilen Connecticuts und New Yorks die Stromversorgung lahm und fegte Schneewehen über viele Straßen. Manche Orte konnten erst nach Tagen wieder freigeschaufelt werden, und Techniker waren rund um die Uhr mit der Reparatur des Strom- und Telefonnetzes beschäftigt. Wie alle, die in den Berkshires aufgewachsen sind, fand George nichts dabei, sich auch unter übelsten winterlichen Bedingungen mit dem Auto auf den Weg zu machen, und war entschlossen, mit dem Kombi der Familie nach New York zu fahren. Er wollte bei seiner Tante übernachten und am nächsten Tag Margot und Henry nach Stockbridge bringen. Seine Eltern hatten durchaus nichts dagegen, fanden den Plan wunderbar, sein Vater riet ihm nur, ein paar Ersatzschneeketten in den Laderaum zu packen – für alle Fälle. Aber Mrs. Hornung legte ein Veto ein. Sie verfügte, daß Margot, wenn sie unbedingt zu einem Tanzabend in den Berkshires gehen müsse, mit der Bahn zu fahren habe, daß es aber vernünftiger wäre, wenn George zu der Party käme, die sie und ihr Mann am Silvesterabend in ihrer New Yorker Wohnung geben würden. Es werde getanzt werden, und George dürfe gern Freunde mitbringen. Dadurch erübrigte sich Henrys Auseinandersetzung mit seinen Eltern, die nicht wollten, daß er mit dem Auto in den Sturm hineinfuhr. Am Ende siegte der Tanzabend in den Berkshires über das Fest, das die Hornungs gaben. Margot und Henry würden einen Zug nehmen, der Silvester um drei Uhr nachmittags in Stockbridge ankommen sollte, und Henry wollte, weil Margot darauf bestand, in Georges Elternhaus übernachten, statt, wie ich vorgeschlagen hatte, bei mir zu Hause. Daich meinen Eltern nicht zutraute, daß sie ausgerechnet an diesem Feiertag ihrer Rolle als Gastgeber gewachsen wären, hatte ich gern nachgegeben. Trotzdem ging ich mit George zum Bahnhof, um wenigstens einen Teil meiner Verpflichtung als Zimmergenosse zu erfüllen. Ein Stationsvorsteher war nicht zu sehen; in Stockbridge hatte es schon lange keinen mehr gegeben. Wir warteten gut fünfzehn Minuten; das Münztelefon war außer Betrieb, ich blieb auf dem Bahnsteig, damit er nicht leer wäre, falls der Zug plötzlich kam, George fuhr zu einer nahe gelegenen Tankstelle an der Fernstraße 7 und rief nacheinander Bahnhöfe an der Strecke durch New York State an, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch Aufsichtsbeamte hatten. Er kam mit der Nachricht wieder, die wir gefürchtet hatten. Die Weichen froren immer wieder ein. Es konnte eine Stunde oder länger dauern, bis der Zug mit den beiden ankam, oder auch schneller gehen. Da sie nicht telefonieren konnten, mußten wir am Bahnhof warten.
Nach Marios Party war ich Margot nur am Yard und auf der Straße begegnet. Dann winkten wir uns zu und sagten Hallo, blieben aber trotz meiner wachsenden Neugier nie stehen, um ein paar Worte zu wechseln. Am Abend nach der Party kam Henry erst sehr spät wieder ins Studentenheim. Er sagte, er sei durchgefroren. Archie war noch unterwegs und ich fast fertig mit meinem Lesepensum. Da Henry noch nicht zu Abend gegessen hatte, schlug ich vor, uns irgendwo mit einem Hamburger zu stärken. Zuerst lehnte er ab, er sei zu müde und zu verfroren, um noch mal auszugehen. Zum Schluß gab er nach. Der Wind hatte stark aufgefrischt, der Yard und die Straßen rings um den Harvard Square waren wie leergefegt, ganz ungewöhnlich für einen Samstagabend nach dem Spiel gegen Yale. Nicht einmal die Townies lauerten wie sonst vor Elsie’s an der MountAuburn Street auf leichtsinnige College-Studenten. Ich ließ Henry in Ruhe essen. Erst als wir unsere zweite Tasse Kaffee tranken, fragte ich ihn, was auf der Party passiert sei, nachdem ich gegangen war. Nichts, erwiderte er. Margot habe George und ihn Mario vorgestellt. George sei dann weitergezogen, habe noch ein paar andere Leute begrüßt, und er und Margot seien allein geblieben. Sie hätten sich lange unterhalten. Irgendwann war George wiedergekommen und hatte gesagt: Laßt uns essen gehen, und Margot und er hatten sich auf den Weg zu einem Restaurant in North End gemacht. George war sehr höflich gewesen und hatte Henry eingeladen, mitzukommen, aber der hatte abgelehnt, weil er sich nicht aufdrängen wollte. Die Mensa mußte inzwischen geschlossen sein, und der Appetit war ihm ohnehin vergangen. Also ging er auf der Cambridge-Seite am
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