Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
Philologenverbandes gesehen.
    Nein, nein, erwiderte Henry und nannte den Namen seiner Highschool.
    Aber das ist ganz außergewöhnlich! rief Ellen. Diese Highschool kenne ich gar nicht. Hat May mir nicht erzählt,Sie und George seien im selben Jahrgang am College? Ist es möglich, daß Sie direkt von dieser Schule aufs Harvard College gingen?
    Und mit einem Vollstipendium, Cousine Ellen, flocht George ein.
    Zu meiner Überraschung funkelte Margot ihn wütend an. Warum nur? Vielleicht fand sie, George behandle Henry von oben herab. George nahm es vermutlich gar nicht wahr, weil er abgelenkt wurde. Cousine Ellen zog durch eine vollkommen unerwartete Reaktion alle Aufmerksamkeit auf sich. Diese furchteinflößende Dame streckte ihre Hand über den Tisch, tätschelte und drückte Henrys Hand und sagte, sie werde May Standish mitteilen, wie überaus dankbar sie sei, daß man ihr Gelegenheit gegeben habe, einen so bemerkenswerten jungen Mann kennenzulernen. Ob er sie und Susie einmal in Boston besuchen und mit ihnen zu Abend essen würde, fragte sie. O ja, fügte sie hinzu, selbstverständlich würde ich mich freuen, wenn Sie dann diese reizende junge Frau, Ihren charmanten Mitbewohner und den lieben George mitbringen.
    Auf dem Fußboden neben ihrem Stuhl stand eine geräumige Handtasche. Sie griff danach, hob die Tasche auf ihren Schoß, zog einen Notizblock und einen dicken Füllfederhalter heraus und bat Henry, seinen und Margots Namen, Adresse und Telefonnummer aufzuschreiben. Als er ihr den Block zurückgab, sah sie sich genau an, was er geschrieben hatte, und las etwas ratlos zweimal laut »Henry White«.
    Seltsam, sagte sie schließlich. Daß White ein polnischer Nachname ist, hätte ich nicht gedacht.
    Es ist keiner. Meine Eltern haben unseren Namen gleich nach der Ankunft geändert. Wir hießen Weiss. Das ist nicht immer ein jüdischer Name, aber in unserem Fall schon.
    Ich war verblüfft, denn ich erinnerte mich, mit wieviel Mühe Archie ihm diese Information entlockt hatte. Damalshatten wir uns sozusagen in privatem Rahmen unterhalten: drei Zimmergenossen, die auf dem Weg zum Essen über den Yard gingen und schwatzten. Jetzt, in dieser Umgebung, konnte Henry mit Recht denken, er werde öffentlich und auf feindlichem Boden zur Schau gestellt. Im Triumphzug hinter dem Streitwagen eines Siegers mitgeschleppt, so hätte er es vielleicht ausgedrückt. War es ihm zur Gewohnheit geworden, sich zu erkennen zu geben? Das bezweifelte ich; ich fragte mich sogar, ob er Margot oder George seinen früheren Namen verraten hatte. Bei Margot war ich mir nicht sicher, aber George hätte nie gefragt, und von sich aus hätte es Henry ihm wohl nicht gesagt. Sollte Henry den beiden wirklich gar nichts erzählt haben, sah er vielleicht jetzt um so mehr Grund, alles schnell hinter sich zu bringen, zumal die Schulleiterin sehr wahrscheinlich nicht nachlassen würde, bis ihre Fragen genau beantwortet waren. So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er kam der Fortsetzung dieses Verhörs zuvor, das er meiner Meinung nach als demütigend empfand, und er beseitigte eine Dunkelzone, die in seiner Beziehung zu George und Margot bestanden hatte.
    Armer Junge, sagte die Schulleiterin und griff wieder nach seiner Hand. Sie und Ihre Eltern müssen furchtbar gelitten haben. Waren Sie in einem Konzentrationslager?
    Henry verneinte diese Frage. Wir alle sahen, daß er nicht mehr sagen wollte, aber die langjährige Gewohnheit der Lehrerin, Schülerseelen bis in die letzten Tiefen auszuloten, siegte über ihr Mitgefühl – ein Mitgefühl, das ihr die Tränen in die Augen trieb, die sie sich mit einem kleinen Tüchlein abtupfen mußte. Sie bohrte weiter, natürlich sehr zartfühlend, und schließlich hörte ich, wie Henry über die täglichen Demütigungen in den Jahren bei Pani Maria Auskünfte gab, die er mir strikt verweigert hatte. Er tat es ohne jede Emotion. Zuerst bewunderte ich seine Fassung, die in gewisser Weise gut zu dem gemütlichen Raum und der gepflegten Tischdekoration paßte. Dann sah ich, daß es sich gar nicht um Fassung handelte. Er war abwesend. Er sprach wie in Trance, nahm weder seine Zuhörer noch sich selbst in ihrer Mitte wirklich wahr. Vielleicht hatte er gelernt, sich von seiner Vergangenheit abzutrennen.
    Als die Geschichte erzählt war, fragte Susie ihn, ob er John Herseys neuen Roman Der Wall gelesen habe.
    Wovon handelt er, Cousine Susie? fragte George dazwischen.
    Sie sagte, er erzähle von der Zerstörung des

Weitere Kostenlose Bücher